Ein Haushalt des Schreckens

Die Etatdebatte im Bundestag entspricht der schwierigen Sachlage. Merz erklärt den Finanzminister für rücktrittsreif. Der Haushalt sei voller Luftbuchungen. Der Konter: Die Opposition sei das eigentliche Risiko. Sie verhalte sich nicht konstruktiv

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Die Union kann den Mund nicht halten. Hans Eichel ist gerade erst am Redepult im Plenum des Bundestages angekommen, um seinen Haushaltsentwurf für 2004 einzubringen, da schallen ihm schon die Zwischenrufe entgegen. Der Finanzminister kontert: von wegen „ein Haushalt voller Risiken“. Das größte Risiko für den Haushalt seien nicht seine Annahmen, sondern die Union, meint er. „Es ist ein Risiko, dass sie in dieser entscheidenden Phase dieses Landes nicht wissen, was sie wollen.“ Die Unionsabgeordneten toben.

Als etwas später Fraktionsvize Friedrich Merz für die Union antwortet, tritt er bereits erregt vors Plenum. Eichels Haushalt sei „nicht beratungsfähig“, seine Vorstellung „bizarr“. Eigentlich müsse hier „die Opposition ihren Rücktritt fordern“, sagte er zum Finanzminister – ohne es zu tun. Stattdessen deutete er die Gesichtsmuskulatur des Kanzlers: Der habe während Eichels Rede genauso geguckt, diagnostizierte Merz, „wie in den letzten Tagen von Rudolf Scharping“. Die Koalition tobt und lacht.

Hier der Finanzminister, der verzweifelt um seinen Ruf als solider Schatzmeister kämpft, dort der Oppositionspolitiker, der immer noch mit der Enttäuschung ringt, nicht selbst Finanzminister geworden zu sein. Entsprechend stürmisch ist die Debatte.

Doch es gibt auch Momente der Stille. Und man kann vermuten, dass es diese Momente sind, wo die Kontrahenten ins Schwarze treffen. Die Union lauscht wie ertappt, als Eichel von ihr „Gestaltung“ verlangt. „Wir müssen das Reformtempo erhöhen, das ist es, was wir Ihnen vorlegen“, erklärt er und fragt die einzelnen Reformpunkte durch: Die Gemeindefinanzen: „Wenn Ihnen nicht mal im Grundsatz klar ist, ob Sie eine Gewerbesteuer wollen oder nicht, wie sollen wir dann mit Ihnen verhandeln?“ Die Eigenheimzulage: „Ich habe vorgeschlagen, sie ganz zu streichen. Frau Merkel, was ist Ihre Position?“, bohrt Eichel. „Macht es Sinn, dass der Staat Schulden macht, damit Private Eigentum bilden können?“ Stille in der Union. Merz wiederum dringt plötzlich durch, als er auf die vielen Luftbuchungen im Haushalt verweist: Zu hohe Wachstumserwartung, viele pauschale Sparannahmen, für die es noch kein Gesetz gibt. „Sie appellieren an die Opposition, Gesetzen zuzustimmen, damit sie mit ihrem Haushalt über die Runden kommen“, tadelt Merz. „Das ist abenteuerlich.“ Stille in der Koalition.

Eichel macht in seiner Rede den Versuch, angesichts der Wachstumsprognosen der Ökonomen von um die 1,5 Prozent seinen demonstrativen Optimismus zu rechtfertigen. „Wir wollen mit dem Vorziehen der Steuerreform sicherstellen, dass die 2 Prozent Wachstum, die nicht sicher sind, wirklich kommen.“

Eine Vorlage für Merz. Schließlich braucht Eichel auch für das Vorziehen der Steuerreform die Zustimmung der Union – die diese bislang verweigert. Ohne Wachstumsimpuls aber sind dem Finanzminister die Milliardenlöcher schon sicher.

Gut 251 Milliarden Euro will Eichel im kommenden Jahr ausgeben, rund ein Prozent mehr als für dieses Jahr veranschlagt. Fast 31 Milliarden Euro neue Schulden muss er machen, sechs Milliarden mehr als der Bund investiert. Die unsichere Wirtschaftslage und der offene Ausgang der vielen Gesetzesinitiativen könnten ein weiteres Loch von mehr als 10 Milliarden Euro reißen. Eichel weiß das und betont deshalb, dass erst die rot-grüne Koalition mit dem Konsolidieren der Finanzen Ernst gemacht habe. Hätte die Regierung Kohl den Haushalt während des Wachstums nur ausgeglichen, wie viele kleine EU-Staaten, „hätten wir heute keine Probleme“ mit der Stagnation. Merz provoziert das zu einem hässlichen Satz an Eichel zum Schluss: „Was Sie hier anrichten“, lasse spätere Generationen wünschen, dass „Sie schon früher zum Teufel gegangen wären.“