Reichen droht trocken Brot

Angesichts der Proteste gegen Hartz IV gönnen Politiker von SPD, CDU und Grünen den gut Verdienenden die Senkung des Spitzensteuersatzes nicht mehr. Kanzler lehnt Änderung ab

BERLIN taz ■ Wenn Langzeitarbeitslose ab dem nächsten Jahr vom Staat weniger Geld erhalten, dann sollen die Wohlhabenden zumindest nicht gleichzeitig Steuern geschenkt bekommen. Deshalb verlangten der niedersächsische SPD-Chef Sigmar Gabriel und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) am Wochenende unisono, die bereits beschlossene Senkung des Spitzensteuersatzes von 45 auf 42 Prozent wieder rückgängig zu machen. Während weitere Politiker von SPD und Grünen der Idee zustimmten, lehnten Bundeskanzler Gerhard Schröder und das Bundesfinanzministerium eine Veränderung der Steuerreform strikt ab.

Sigmar Gabriel sagte, in Deutschland sei „mehr sozialer Patriotismus“ nötig. „Wenn wir Veränderungen von Arbeitslosen und Kleinverdienern verlangen, können die Reichen nicht abseits stehen.“ Böhmer kündigte an, im Bundesrat das Vorhaben zu unterstützen. Der saarländische Oppositionsführer Heiko Maas (SPD) schloss sich der Forderung an.

Auch bei den Grünen fand der Verzicht auf das Steuergeschenk Zuspruch. „Das ist einfach zu machen“, sagte die grüne Haushaltspolitikerin Antje Hermenau gestern der taz, „damit kann ich gut leben.“ Das Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages forderte, die Absenkung des Spitzensteuersatzes „auszusetzen, bis die Lage in Deutschland wieder besser ist“. Hermenau hält Steuererleichterungen für besser Verdienende für überholt. Als die Steuerreform beschlossen wurde, sei man noch von anderen Wachstumsraten ausgegangen. „Die Realitäten haben sich geändert, da kann man nicht starr an einem Konzept festhalten.“ Ein Beitrag der besser Verdienenden passe außerdem zur Botschaft der Hartz IV: „Es geht doch darum, dass alle etwas beitragen müssen zur Reform des Sozialstaates.“

Nach Aussagen Gabriels könnten Bund und Länder ohne die Senkung des Spitzensteuersatzes etwa 2,5 Milliarden Euro einsparen. Betroffen wären nur Einkommen ab 52.000 Euro im Jahr.

Aus dem Bundesfinanzministerium hieß es dagegen, das Steuersenkungspaket werde nicht aufgeschnürt. Auch Bundeskanzler Schröder lehnte die Idee ab. Die letzte Stufe der Steuerreform stehe „im Gesetz, die ist beschlossen, und die wird auch durchgeführt“, sagte der Kanzler im ZDF. Die Senkung des Spitzensteuersatzes sei notwendig zur Ankurbelung der Binnenkonjunktur. Er erinnerte daran, dass auch der Eingangssteuersatz zum Jahresbeginn 2005 auf 15 Prozent heruntergesetzt werde. „Ich glaube nicht, dass man von einer Gerechtigkeitslücke reden kann“, sagte Schröder.

Für den heutigen Montag wird erneut eine Protestwelle gegen die umstrittene Hartz-IV-Reform erwartet. Kundgebungen sind in mindestens 90 Städten angemeldet, darunter erstmals in Berlin. KLH

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