Die erträumte, angebliche Metropole: Essen

Die Serie zur Kommunalwahl am 26. September. Heute: Essen, gefangen zwischen Moderne und Industriegeschichte

Essen?

Ehemalige Krupp-Stahlstadt. Liefert sich als ehemalige heimliche Hauptstadt des Reviers seit Jahren mit Dortmund ein skurriles Kopf an Kopf-Rennen um den Titel Reviermetropole, der über die Einwohnerzahl ausgetragen wird. Die ist von knapp 700.000 auf 586.750 gesunken – angeblich 26 mehr als in Dortmund, dem selbst ernannten „Herz Westfalens“. Während südlich der die Stadt trennenden Autobahn 40 Bürotürme die urbane Vision eines Ruhrhattans vorgaukeln, stecken die nördlichen Stadtteile mitten im Strukturwandel: Die Arbeitslosenquote liegt stadtweit bei 12,2 Prozent.

Wer hat was zu verlieren?

Die CDU die absolute Mehrheit. Zwar erhielten die blassen Christdemokraten bei der Kommunalwahl ‘99 sensationelle 51,7 Prozent, kamen bei der Europawahl aber nur auf 40 Prozent. Die SPD dagegen steht nach erdrutschartigen Verlusten in ihrer ehemaligen Hochburg ohne Hosen da, hat nichts mehr zu verlieren. Gewinner werden mit über 14 Prozent die Grünen, die bereits über eine Zusammenarbeit mit der CDU nachdenken.

Wer regiert im Rathaus?

Wolfgang Reiniger, CDU. Der 60jährige Rechtsanwalt konnte ‘99 selbst kaum an seinen Sieg glauben, schaute auf der zentralen Wahlkampfkundgebung mehr als überrascht.

Wer will da rein?

Sieben Kandidaten, von CDU-Reiniger bis zum eher satirisch angehauchten Matthias Stratmann, ehemaliger Aktivist der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands. Reinhard Paß, Kandidat der Sozialdemokraten, hat nicht den Hauch einer Chance: Der Diplom-Chemiker war Vize-Fraktionschef unter dem skandalumwitterten SPD-Fürsten Willy Nowack, der nach jahrelangen Korruptionsgerüchten auf lokaler Ebene den Rückzug antreten musste. Im Landtag duldet die Landespartei Nowack aber noch immer.

Was gibt es im Wahlkampf außer Kugelschreibern?

Größenwahnsinnige Projekte wie den von CDU und SPD gehypten Krupp-Gürtel: Ein völlig überdimensionierter vierspuriger Boulevard soll das ehemalige Stahlwerk nach 50 Jahren als Brache endlich wieder erschließen. Spannung über das Abschneiden von PDS, DKP, dem linken Bündnis AUF Essen und dem Essener Bürgerbündnis um den Politikprofessor Wolfgang Horn.

Wer hat die schönsten Wahlplakate?

Ästhetik ist kein Gesichtspunkt: Einfallslosigkeit, Tristesse und Mittelmaß überall.

Die taz-Prognose:

Essen steht vor einer interessanten schwarz-grünen Kohabitation. Die ausgelaugte SPD bleibt in der Opposition. Auch die bereits im Rat vertretene PDS legt wie die linken Listen weiter zu.

ANDREAS WYPUTTA