Schweigemauer schützt AKW nicht

Wegen Terrorismusgefahr klagt Greenpeace auf Stilllegung des Atomkraftwerkes Brunsbüttel. Reaktor kann einem gezielten Flugzeugabsturz nicht widerstehen. Dieser sei aber kein Restrisiko mehr, sondern zur realen Gefahr geworden

Nach den Regeln praktischer Vernunft sind Flugzeugabstürze ausgeschlossen

aus HamburgSVEN-MICHAEL VEIT

Die sofortige Abschaltung des Atomkraftwerkes Brunsbüttel an der Unterelbe will Greenpeace vor Gericht erzwingen. Dies sei zum Schutz vor Terrorakten zwingend notwendig, begründete der Energieexperte der Umweltschutzorganisation, Stefan Schurig, gestern das Einreichen einer Klage gegen das Land Schleswig-Holstein beim Oberverwaltungsgericht Schleswig. Eine zweite Klage gegen das hessische AKW Biblis A wurde parallel vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel erhoben.

Der 1976 in Betrieb gegangene Siedewasserreaktor Brunsbüttel, der viertälteste deutsche Atommeiler, könne lediglich den Aufprall eines Sportflugzeuges aushalten, aber nicht „einen gezielten Anschlag mit einem großen Verkehrsflugzeug“, so Greenpeace-Anwalt Ulrich Wollenteit. Durch die Anschläge des 11. September sei ein terroristisches Attentat mit einem großen Jet jedoch zu einer konkreten Bedrohung geworden. Dies habe grundsätzliche Folgen für den Betrieb von Atomkraftwerken.

Nach dem deutschen Atomrecht und einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1978 brauchen Reaktorbetreiber keine Vorkehrungen gegen so genannte „Restrisiken“ treffen. Dazu gehörten auch Flugzeugabstürze, da diese als zufällige Ereignisse definiert werden, „die nach den Regeln praktischer Vernunft als ausgeschlossen gelten können“.

Inzwischen aber, so Wollenteits Argumentation, sei ein gezielter Flugzeugabsturz zu einem „realen Risiko“ geworden, dem mit erheblichen „Vorsorgestandards“ begegnet werden müsse. Da eine bauliche Sicherung nicht möglich sei, so Schurig, „bleibt nur die sofortige Stilllegung“.

Auch die Bundesregierung bestreitet den mangelnden Aufprallschutz nicht. Ein Anschlag mit einem Großraumjet würde, das haben mehrere Riskostudien ergeben, in jedem deutschen Atomkraftwerk zu einer Zerstörung des Reaktorkerns und damit zum GAU führen. In einem Gutachten von Anfang dieses Jahres, das von der Bundesregierung unter Verschluss gehalten wird, werden nach durchgesickerten Informationen diese „gravierenden Sicherheitsmängel“ bestätigt. Mit den nun eingereichten Musterklagen solle „die Schweigemauer um dieses Tabu-Thema durchbrochen werden“, sagt Schurig.

Die Sprecherin des schleswig-holsteinischen Energieministeriums, Randy Lehmann, erklärte, erst im Sommer habe Kiel beim Bund erneut „einheitliche Schutzstandards“ für AKWs angemahnt. Bislang erfolglos. Die Greenpeace-Klage sei durchaus „nicht überraschend“.

Kann sie auch nicht. Denn die Umweltschützer hatten bereits im Dezember 2001 den Widerruf der Betriebsgenehmigungen für sämtliche deutsche Atomreaktoren förmlich beantragt. Bis heute, sagt Schurig, „haben wir nicht einmal eine Antwort erhalten“.

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