Wahrheit über chromo’’’soma

Kunst kann Wirklichkeit vereinfachen, verzerren – oder erfinden. So verstörte Orson Welles‘ Hörspiel Krieg der Welten ganz Amerika durch fiktive Ufo-Angriffe. Vergleichbar: Die Eröffnung des Gen-Shops in Bremen, über die der Artikel „Nachrichten aus dem Menschenpark“ (taz vom 9. 9.) berichtete.

Denn „chromo’’’soma“ gibt es nicht. Der Laden ist eine Performance des Künstlers Alf Thum, sein Auftraggeber die Bundeszentrale für politische Bildung. Deren Kongress zur Gentechnik tagt kommende Woche in Bremen. „Unser Ziel war, Irritationen auszulösen“, sagt Thum – durch einen seriös anmutenden Laden. „Viele hatten Vorwissen, das bröckelte aber in der Verkaufssituation oft ab.“ Allein bei der Eröffnung am Samstag wechselten 50 bis 60 Produkte den Besitzer. Hygienisch verschweißte Kügelchen versprachen den Nutzern Fähigkeiten wie gesteigertes Sehvermögen durch reaktivierte Gen-Sequenzen.

Darf Kunst so weit gehen? Jedenfalls hat die Aktion das Publikum unmittelbarer mit dem Thema konfrontiert, als abstrakte Referate. Thum will auf das Dilemma der Gen-Debatte hinweisen, die zwar geführt werde, aber unverbindlich bleibe. Was möglich sei, werde gemacht. Während der Bundestag über ein Embryonenschutz-Gesetz streite, gebe es in anderen europäischen Ländern solche Debatten nicht. „Ich befürchte eine EU-weite liberale Entscheidung“, so Thum. Dann könnte das chromo’’’soma-Szenario Realität werden. hoh