In Gottes guter Stube

Gabriele Hasler, Felix Dohmen und die Schwingungen: Was lockt experimentelle KünstlerInnen in die schlechte Akustik des Doms?

Kirchenmusik verwabert, wird vom Nachhall erschlagen oder fällt ins Loch

BREMEN taz ■ Hartnäckig hält sich das Gerücht, alle Kultur leite sich von „Kultus“ ab – der Götterverehrung in Gestalt von Tanz, Messe, Prozession oder Mahl. Standardwerke wie Reclams Schauspielführer verorten etwa den Ursprung des Theaters „bei allen Völkern und zu allen Zeiten“ im Religiösen. Bis heute ist die Kultusministerkonferenz (der frühere Zonenerziehungsrat) Hauptträgerin staatlicher „Kulturhoheit“.

Dahinter steckt ein stark idealisierter Kulturbegriff. Als ob Fred Feuerstein (neben seinen magischen Wetterritualen) nicht auch spontane Freudentänze um erlegte Mammuts veranstaltet und anschließend sein Liebesleben an Höhlenwände gemalt hätte. Will heißen: Irdische Emotionaliät ist der Spiritualität als kulturelle Triebfeder mindestens gleichberechtigt. Wäre ja noch schöner, wenn Gott alle Kreativität für sich gepachtet hätte.

Jahrtausende nach Fred & Co. vermitteln die Aktivitäten am Bremer Dom jedoch den Eindruck, als suchten immer mehr KünstlerInnen die Rückbindung an den kirchlichen Raum. Am Freitag bringt Gabriele Hasler ihr Hörstück „Flow“ zur Uraufführung, das auf Improvisations-Reihen aufbaut, mit denen sie bereits eine beachtlich konstante Publikumsmenge in den Dom zog. Und beim letzten Themengottesdienst („Garten“) war eine Performance des Sängers und bildenden Künstlers Felix Dohmen zentraler Bestandteil.

Was macht den Dom so attraktiv? Seine Klangqualitäten sicher nicht, da haben St. Stephani und Liebfrauen mehr zu bieten. Traditionelle Kirchenmusik verwabert in der Verbautheit der Schiffe und Emporen, wird vom eigenen Nachhall erschlagen oder fällt gleich in die diversen akustischen Löcher.

Wohl dem, der improvisiert, also flexibel auf die Reaktionen des in Klang versetzten Raumes eingehen kann. Bei ihrem aktuellen Projekt verzichtet Hasler bewusst auf Parameter wie Melodik, Harmonik, Rhythmik und Text, statt dessen soll sich der titelgebende „Flow“ einfinden. Ein Glücksgefühl, vokal vermittelter Rausch. Hasler ist bekannt für extreme Stimmerprobungen, für Knarren, Quietschen, gewaltig meckernde Bockstriller. Aus dem Material ihrer „Klangnotizen“, aufgenommen in der Westkrypta, hat sie ein Hörstück geschnitten, das die Grundlage der „Flow“-Performance im Nordschiff bildet. Technisch gesehen importiert sie also den Klang des kompakten Gewölbes in die Weite des Haupthauses.

Wenn dort „dichte Passagen“ akustisch wegschwimmen, sei das für sie in Ordnung, versichert Hasler. Denn „auf eine andere Art“ sei der Dom schon „ein optimaler Ort“, ausgestattet mit „ganz eigenen Schwingungen“.

Wie immer er klingt: Der genius loci des Doms wird offenbar deutlich wahrgenommen, nicht nur in der landläufigen Bedeutung von inspirierender Atmosphäre, auch als genuin spirituelle Dimension. Folgerichtig hat Felix Dohmen seinen „Weg der Blume“ in einen Gottesdienst eingebaut. Verwoben in dessen Ablauf meditiert er in sieben Stationen über das Wachsen einer Pflanze. Mit einem dröhnenden „Am Anfang war das Meer“ setzt er sich zwar in den Augen gestrenger Genesiskundiger in theologische Nesseln, der Lebendigkeit seiner Wachstumsvokalisationen kann sich trotzdem keiner der Anwesenden entziehen.

Ein traditionell kirchlich orientierter Künstler ist der 35-Jährige gewiss nicht. Trotzdem schätzt er den Dom als konzentrierten Ort, der gut zu seiner Kunst passe. „So ein Gebäude beeindruckt mich“, sagt auch Hasler. Ihre in „Flow“ eingeflossene Erforschung der „14 Klangfarben einer Stimme“ entwickelte sich in einer zweijährigen Arbeitsphase, die in wesentlichen Teilen in den Dom-Krypten stattgefunden hat. Dabei soll ihr auch hin und wieder ... – aber das ist nur ein Gerücht. Noch nicht mal ein hartnäckiges. Henning Bleyl

Uraufführung „Flow“: Morgen 20 Uhr