Bis zum letzten Mann

Regisseur Gordian Maugg verfilmt Alexander Häussers Roman „Zeppelin!“. Eine gerade arbeitslose Flugzeugwerkstatt im niedersächsischen Lemwerder diente als Drehort. Zur Luftschiffwerft Friedrichshafen wurde ein moderner Hangar umgebaut

Aus Lemwerder Jens Fischer

Das Ende vom Anfang des Kinoruhms: die Euphorie der letzten Drehtage für die Großproduktion „Zeppelin!“ auf dem Gelände der Aircraft Services Lemwerder (ASL). Gleichzeitig ist der Anfang vom Ende zu spüren: die Niedergeschlagenheit über die Schließung der zivilen Flugzeugwartung bei dem niedersächsischen Unternehmen.

Zum 31. Juli mussten die vorletzten Angestellten ihre Arbeitsplätze aufräumen (siehe Kasten). Seither herrscht gespenstische Ruhe auf dem Betriebsgelände an der Weser. „Das war eine gut funktionierende Firma, die feindliche Übernahme durch den europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS hat uns kaputt gemacht“, schimpft der Pförtner. Und weist den Weg zu den letzten aktiven Technikern.

Sie zeigen den Filmleuten, wie sich die gigantischen Hangarhallen öffnen lassen, in der drei Großraumflugzeuge hintereinander Platz hätten – aber nur ein halb verschrotteter Flieger noch herumrostet. „Nach unseren Dreharbeiten wird hier alles abgerissen“, erzählt Regisseur Gordian Maugg.

Wo seine Crew gerade nicht herumwuselt, gähnen gewaltige Bürotrakte menschenleer vor sich hin. Leere dröhnt aus den Wartungshallen. Gras wächst die verlassenen Gangways hinauf und begrünt die Unzahl abgestellter Arbeitsbühnen. Eine Geisterstadt. Industriebrachen-Idyll. Über die Landebahn des Betriebsflughafens tuckert ein Trecker, sammelt Strohballen auf. Über dem Gelände kreisen nur noch Vögel. Wer Metaphern mag, tippt auf Geier.

Das 40-köpfige Filmteam um Gordian Maugg junior (Regisseur) und Gordian Maugg senior (Produzent) hat sich wie eine Camper-Clique eingerichtet. Mobil-Toiletten und Container-Büros. Wasserkanister als Handwaschanlage. Liegestühle bilden die Raucherecke. Besprechungen finden unter einem Partyzelt statt. Im Vakuum zwischen ehemaliger und zukünftiger Nutzung des ASL-Areals bieten sich reichlich Drehorte an, um Alexander Haussers „Zeppelin!“-Roman zu verfilmen.

Im Mittelpunkt steht die explosive Geschichte des „LZ 129 Hindenburg“, das am 6. Mai 1937 im amerikanischen Lakehurst aus bis heute ungeklärter Ursache in Flammen aufgegangen war.

Ein Lemwerder-Hangar wird für den Film zur Luftschiffwerft Friedrichshafen. Maugg: „Lemwerder ist billiger als es Dreharbeiten am Originalschauplatz wären. Außerdem müssen wir die Filmförderung abarbeiten.“

150.000 Euro gab es von der Nordmedia Niedersachsen/Bremen – und wie jede Filmförderung wurde auch diese nur unter der Bedingung ausbezahlt, mindestens die Fördersumme auch wieder im Land des Fördergremiums auszugeben. Für 50.000 Euro erwirbt das Filmteam daher in Bremen Dienstleistungen von zehn Gewerken. Aus Niedersachsen kommt ein Gros der Schauspieler – zusammen mit der Lemwerder-Miete soll sich das irgendwie zu 100.000 Euro addieren. Zur Begleichung der Hamburger Filmförderung von 250.000 Euro hat man den 20-motorigen Fuhrpark des Drehs in der Elbhansestadt gemietet. Dort residiert auch das Kopierwerk für das Filmmaterial. Und für die Berlin-Brandenburgischen Gelder duftet jetzt das Catering aus einem Potsdamer Imbisswagen. Für weitere Euros durfte bereits in Schwäbisch-Hall und Wendlingen gedreht werden. „Der Vorteil der deutschen Filmförderung ist, man kommt viel rum“, resümiert Maugg. Der Nachteil sei: Man bekomme selten das benötigte Budget zusammen.

Mehr als 2,1 Millionen Euro haben die Mauggs nicht loseisen können. „Uns fehlen zunehmend die Gelder des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die immer mehr Spielfilmsendeplätze mit Shows besetzen.“ Für Maugg bedeutet das: „Ich schreibe drei, vier Drehbücher pro Jahr und kann nur alle vier Jahre mal einen Film realisieren.“ Für „Zeppelin!“ erhielten Maugg/Häusser den Drehbuchpreis Baden-Württembergs, mussten trotzdem zwei Jahre an der Finanzierung arbeiten und die Produktion zurechtsparen. Maugg beschränkt die Drehzeit auf 30 Tage, streicht seine eigene Gage und bestückt 20 Prozent des Films mit Archivmaterial.

Ein Kompilationsfilm also. Historisierende Spielszenen – und im Gegenschuss die Wochenschaubilder von der großen Brandkatastrophe der „Hindenburg“. 35 der 96 Passagiere haben sie nicht überlebt. Als technisches Besatzungsmitglied mit dabei: Film-Titelheld Robert Silcher (Olaf Rauschenbach). In Schwarz-Weiß dreht Maugg die Szenen aus seinem Leben. Erste Versuche, sein mysteriöses Sterben vom Sohnemann rekonstruieren zu lassen, sind 1973 angesiedelt und auf zeitgemäßem Super 8-Material festgehalten. Die Recherche des Silcher-Enkels zur Familien- und Luftschiffgeschichte wird auf 35 Millimetermaterial fixiert. So entsteht ein Kinowerk als Spaziergang durch die Generationen, ein Heimatfilm und technologiegeschichtlicher Politkrimi. Die sprunghafte Struktur der Vorlage, das Pendeln zwischen Fantasiereise, O-Ton-Dokument, Fliegerromantik, Enthüllungsdramaturgie und Zeppelin-Nostalgie, will Maugg beibehalten.

Kennen gelernt hat er den Buchautoren Häusser bei einem Stipendium 1998. Maugg: „Wir wollten nicht den Hollywood-Katastrophenfilm im Luxuspassagierambiente machen: US-Tänzerin lernt deutschen Offizier kennen, und bei der ersten Zigarette danach explodiert das Luftschiff.“ In „Zeppelin!“ soll aus der Perspektive des Arbeitermilieus erzählt werden: das analytische Drama der nationalen Seele.

In der Aufbruchstimmung nach dem desaströsen Ersten Weltkrieg kam die friedliche Bürgerbewegung der Zeppelin-Fans gerade recht, um ein anderes, erfolgreiches Deutschlandbild zu vermitteln. Man war wieder wer: England besaß 15, Amerika zwei, Deutschland 137 Luftschiffe. Ihre Starts und Landungen wurden mit Fackelzügen wie ein Kult gefeiert. Für den Blick auf die attraktiven Flugobjekte bekamen Kinder einst schulfrei, legten Arbeiter ihre Fabriken lahm. Man staunte gen Himmel, wenn die silbernen Flugzigarren vorüberschwebten – wie aus einer Märchenwelt. Unerreichbar in ihrer behäbigen Leichtigkeit. Und doch so riesig nah. Der Reiz des geräuschlosen Gleitens. „Die Seele fliegt da mit, bei der Luftschifffahrt gibt es keinen Jet-Lag“, betont Maugg.

Ob er das selbst getestet habe? „Nein, 300 Euro die Stunde kostet der Flug im letzten Luftschiff Friedrichshafens.“ Das sei als Recherchefahrt einfach zu teuer gewesen.

Kommt der Film nicht zu spät, da die Zeppelin-Euphorie nach der Pleite des Luftschifftransport-Unternehmens Cargo-Lifter wieder verflogen ist? Maugg: „60.000 Kleinaktionäre haben da an die Zeppelin-Idee geglaubt, der Mythos lebt also.“ Auch sonst scheint die Idee intakt, Zeppeline könnten den Tourismus sanft machen, dank des energiesparenden Auftriebs sowie der umweltschonenden Technik als ökologische Hoffnungsträger des Fernverkehrs und preiswerter Satellitenersatz fungieren. Auch haben sie als Entschleuniger im hochtourig rotierenden Weltgeschehen eine neue Attraktivität gewonnen. All das möchte Maugg nutzen, um „das Geheimnis der Luftschifffahrt“ zu vermitteln.

Szenen mit einem echten Luftschiff sind aus Kostengründen nicht drin. Daher steht bei den Dreharbeiten in Lemwerder ein zwölf mal zwölf Meter großes, mit grünem Fließ bespanntes Gerüst. Davor agieren die Komparsen in züchtigen 30er-Jahre-Kostümen, ehrfürchtig offenen Staunemündern und Blicken – ins Nichts. Die Beleuchter werfen riesige Schatten auf die Darsteller: die „Hindenburg“ schwebt vorüber. Ihr Bild wird bei der digitalen Nachbearbeitung auf das grüne Tuch und so in den Film kopiert. Für andere Szenen hat man ein paar Quadratmeter des 250 Meter langen, 40 Meter dicken Zeppelins nachgebaut: als Hintergrund-Design.

Der Film kreiert eine neue Theorie über das zeppelineske Feuerinferno. Das Luftschiff musste damals mit 200.000 Kubikmetern des leicht brennbaren Wasserstoffs den Atlantik überqueren, da das ungefährliche Helium nicht zur Verfügung stand. Die USA besaßen ein Monopol auf dieses nicht brennbare Gas, das als Abfallprodukt der Öl-Raffinerien gewonnen, aber für das fliegende Prestigeobjekt Nazi-Deutschlands nicht exportiert werden durfte.

Robert Silcher soll – laut Häusser/Maugg – von der politischen Vereinnahmung des Zeppelinismus nichts bemerkt haben. Immerhin warfen deutsche Luftschiffe schon im 1. Weltkrieg Bomben auf London und Paris. Und die „Hindenburg“ sollte schon vor ihrem Flug nach Florida in „Hitler“ umgetauft werden.

Robert Silcher ist in dem Film als der große Naive zu erleben, der die nationale Luftschifffahrt retten will, indem er die „Hindenburg“ und sich selbst opfert: ein Fanal setzen, um Helium-Lieferungen an Deutschland zu ermöglichen. Ein fanatischer Selbstmordattentäter? Maugg: „Man weiß nicht, ob sein Tod ein Unfall war oder zum totalen Idealismus gehörte. Das bleibt Geheimnis.“

Zur Drucklegung dieses Textes ist „Zeppelin!“ bereits abgedreht. Im Herbst 2005 soll der Film in die deutschen Kinos kommen.