Allen Ernstes Operette

Andreas Homoki hat an der Komischen Oper Emmerich Kalmáns Operette „Die Csárdásfürstin“ neu inszeniert: als absurdes Theater, das ebendeswegen glaubwürdig ist. Nur versteht der Dirigent nichts davon. Er dirigiert stramm drauflos, als handle es sich um das Dienstjubiläum des Personalchefs

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Andreas Homoki, Regisseur und Intendant des Hauses, liebt die Operette. Fast jede wahrscheinlich, diese aber ganz besonders, und er hat Recht. Auch wenn die Liebe ein wenig blind macht und dann tausend Engel singen, wie bei Emmerich Kalmán, der das in seiner Csárdásfürstin gleich mehrmals erklingen lässt. Ein langsamer Walzer, der ewig dahinschweben könnte, wäre dann nicht doch alles ganz anders, traurig sogar, weil es ja nicht wahr ist, und alles so schwierig, bis die Richtigen sich kriegen, und ob sie dann wirklich nur die Engel singen hören? Man weiß es nicht.

Aber Homoki liebt die Operette. Deshalb ist ihm alles ganz wichtig, was die Schöne so von sich gibt und an sich hat. Er nimmt es wörtlich, weswegen die Frauen des Chores wirklich als lauter Engelein im weißen Röckchen auftreten. Nur so ist dieses Stück wahrscheinlich zu retten, das mitten im Ersten Weltkrieg uraufgeführt wurde. Man muss es wörtlich nehmen, dann wird es als Verweigerung erkennbar, irgendetwas anderes gelten zu lassen als die eigensinnige Konstruktion einer Illusion. Die Operette insgesamt, vor allem aber diese, die sich hier als wirklich bedeutendes Werk erweist, nähert sich dann dem absurden Theater an und ist so wahr wie dieses, eben weil sie sich nicht an die Spielregeln des guten Geschmacks hält.

Um diesen Kern zu zeigen, hat der Bühnenbildner Hartmut Meyer Kalmán von allem historischen Dekor befreit. Das verruchte Varieté oder das fürstliche Palais sind hinter einem Bühnenhintergrund aus halbtransparenten Glasflächen verschwunden. Ein Ledersessel aus dem Chefbüro und eine drehbare Showtreppe sind das einzige Mobiliar für alle drei Akte. Kühl ist das alles, industriell, die Treppe tanzt einmal ganz allein ein Ballett, denn sie ist das Symbol des einzigen Konflikts, den diese Operette kennt. Alle wollen da oben hin, wo sich die Plattform schwindelerregend dreht. Oben sind die Engel, die Liebe, aber auch der Adelsstand, dem Edwin angehört, der sich in das Varietémädchen Sylva verliebt hat. Die ist unten, nicht statthaft, eine von denen, die die Kostümbildnerin Mechthild Seipel im schwarzen Domina-Lack auftreten lässt. Der Männerchor dagegen steckt immer in Frack und Zylinder; er ist oben und unten zugleich, denn der Standesdünkel des alten Fürsten ist ja doch nur eine Gaudi neben anderen und ein Katzenjammer auch.

Diese wenigen Bühnenmittel reichen völlig aus, das mäßig witzige Libretto zusammenzuhalten. Sie gäben den Rollen zwanglos den Raum für ihre großen Nummern, die in der Partitur stehen. Doch gerade daran scheitert diese klug ausgedachte Inszenierung. Sie scheitert am Orchestergraben, ein wenig auch daran, dass im Haus zurzeit wohl keine Stimmen mit der nötigen Präsenz und Erfahrung im Showgeschäft verfügbar sind. Am ehesten noch wird Tom Erik Lie als Edwin mit seiner Aufgabe fertig, ein zwar schlanker, aber einschmeichelnd warmer Bariton. Peter Renz als Schlawiner-Graf Boni ist lustig, doch arg dünn bei Stimme, und besonders unglücklich ist die Titelrolle mit Noemi Nadelmann besetzt. Ihr Mezzosopran besticht in der Höhe durch reinen Glanz, dann ist auch zu hören, dass sie sehr wohl versteht, den Kalmán’schen Ohrwürmern gerecht zu werden. Gewiss sind sie trivial, niemals aber sentimental. Nur verlangt diese Rolle tiefe Lagen, die klingen müssen wie die G-Saite eines Stehgeigers. Das ist nun nicht Noemi Nadelmanns Sache, beinahe tonlos manchmal versucht sie den Csárdás eher zu mimen als zu singen.

Besonders verführerisch ist das nicht, wenn auch als Notlösung passabel. Doch alle diese Mühe geht unter im Lärm des Orchesters, das unter Michael Jurowski fast alles falsch macht, was man hier falsch machen kann. Es spielt fehlerfrei stramm drauflos, als sei auf Bühne nichts weiter im Gange als das Dienstjubiläum des Personalchefs. Keine Engel, keine Sünde und schon gar nicht die leise Melancholie dieser süßen Melodien sind mehr zu hören. Man muss die Operette schon so lieben wie Homoki, um danach zu klatschen. Aber man klatscht, es ist ja fast gelungen, was schon mehr ist, als man erwarten kann, denn eigentlich ist es ja unmöglich, allen Ernstes Operette spielen zu wollen.

Komische Oper, Behrenstraße 55–67 Nächste Aufführungen: 12., 17., 24. September, 19 Uhr