„Das sind ganz schön viele Gockel hier“

Deutschland ist noch immer nicht castingmüde: 3.000 Besucher lockte der vierte Casting-Day nach Babelsberg, in das einstige Epizentrum der Welle

„Du hast zwar ein nettes Gesicht, aberan deinem Körper stimmt gar nichts“

VON MIRJAM DOLDERER

„Du bist doch kein Schauspieler. Du bist ein Lügner.“ Achim Tummes, Direktor von Duma-Model, versucht die Schauspielanwärter aus der Reserve zu locken. Sie sollen improvisieren, sich extrovertiert geben. Umso lauter und bestimmter die Antwort, umso besser fällt die Note aus.

Neun Agenturen sind zum vierten Casting-Day nach Babelsberg gekommen, um Talente fürs Showgeschäft zu entdecken. Die Show rückt an diesem Tag jedoch in den Hintergrund. Das Ganze erinnert eher an eine Messe, eine Gelegenheit zum Adressenaustausch. Für die Smalltalk-Runden auf der Bühne interessiert sich kaum jemand. Schauspieler, Synchronsprecher, Agenten wollen Tipps geben, doch sie werden ignoriert. Nur „Marienhof“-Star Judith Hildebrandt lockt ein paar Teenager vor die Bühne. Heute will man ja schließlich selbst im Mittelpunkt stehen.

„Ganz schön viele Gockel hier“, meint Sebastian Schmidt, während sein Blick die Warteschlange vor einem der Messestände streift. Dann wendet er sich wieder dem Casting-Formular zu. Schon zum fünften Mal heute gibt er seine Adresse an und Auskunft über Kleider- und Schuhgröße, Augen- und Haarfarbe. „Toll, da soll ich meine Jeansgröße eintragen“, meint er mit einem Blick auf seine Baggypants. Ein junges Mädchen wundert sich ebenfalls über das Formular: „Erst wollen sie wissen, ob ich ein Haustier besitze, und dann, ob ich darauf reiten kann. Ich habe ein Meerschweinchen!“

Sebastian ist inzwischen beim Vermessen: Kopf-, Hals-, Brust-, Taillen-, Hüftumfang und Beininnenlänge werden gemessen. Beim Bizeps hätten sie ihm fast zehn Zentimeter unterschlagen. Gerade noch gemerkt. Ist das etwa das Quäntchen Glück, das auf dem Weg zum Star entscheidet? Jetzt noch ein Foto, dann ist Sebastian eine vollständige Nummer in der Kartei. Schauspieler will er werden oder Model oder Tänzer. Auf jeden Fall berühmt. Durch den Casting-Day hofft er dort hinzukommen, wo er viel Geld und Frauen vermutet. Es ist nicht das erste Casting, an dem der 24-Jährige teilnimmt. Die Chancen, dass es diesmal klappt, sind nicht schlecht: Sein Bewerbungsformular beim Modelcasting wurde mit einem „Top“ versehen. Das ist zumindest gut fürs Ego.

Fast 3.000 Staranwärter sind heute zum Casting-Day gekommen. Selbst aus dem tiefsten Schwaben ist eine Gruppe in der Hoffnung angereist, dass der Weg zum Ruhm über Babelsberg führt, wie der Flyer suggeriert. Komparsen und Kleindarsteller werden hier hauptsächlich gesucht. „Die ganzen Nachmittagsprogramme haben ja einen enormen Verschleiß an Kleindarstellern“, sagt Veranstalter Falko Suckow. Zum Glück für ihn gibt es immer noch genug Leute, die sich für dieses Thema begeistern. 45 Prozent aller Deutschen sind castinginteressiert. Die Medien gaukeln einen Traum vor, die Realität folgt einem anderen Drehbuch.

Bei Frank Ruttloff, der als Sven im „Marienhof“ bekannt wurde, ist die Anfangseuphorie längst verflogen: „Auf jeder Feuerwehrdorfdisko reagieren die Männer aggressiv auf mich – aus Angst um ihre Freundinnen.“ Das Leben als „Soapie“, wie er es nennt, ist eben nicht immer einfach: Ruttloff hat Schwierigkeiten, neue Aufträge zu bekommen, obwohl er eine klassische Schauspielausbildung mitbringt.

Diese Probleme schrecken Kerstin Cruz nicht: Sie würde am liebsten gleich ihre ganze Familie beim Film sehen. Letztes Jahr war sie mit ihrem Sohn hier, heute ist sie auf der Suche nach einer Agentur für ihre siebenjährige Tochter Celina. Man müsse schließlich Talente fördern, meint sie. Celina, zurechtgemacht mit Schottenrock und passender Krawatte, begeistert sich jedoch mehr für den Colastand als für die Frau mit der Kamera, die wissen will, ob sie sich denn für die Schauspielerei interessiere. Deshalb beantwortet die Mutter kurzerhand die Fragen: „Ja, Celina will Schauspielerin werden.“ Cruz bestärkt das Mädchen darin, weil sie glaubt, dass dieser Beruf die Entwicklung des Selbstbewusstseins bei einem Kind fördert.

Doch nicht alle werden heute mit gestärktem Selbstbewusstsein in ihren Alltag zurückkehren. Urteile wie „Du hast zwar ein nettes Gesicht, aber an deinem Körper stimmt gar nichts“ oder „Mich stört dein Krankenschwesteroutfit“ lassen ahnen, welch rauer Wind im Traumberuf Medienstar herrscht.