Exklusivster Wettkampf

Spartanische Unterbringung, keine Tribünen und höchstens Klappstühlchen für die IOC-Funktionäre: Die Kugelstoßer treffen sich zum Medaillenkampf im geschichtsträchtigen Originalolympia

VON JOACHIM MÖLTER

Die US-amerikanischen Kugelstoßer Adam Nelson und Reese Hoffa wohnen in der Kleinstadt Athens, rund hundert Kilometer östlich von Atlanta, der Olympiastadt von 1996. Als sich die beiden vor vier Wochen für die Olympischen Spiele des Jahres 2004 qualifizierten, da hatten die Zeitungen in den USA gleich eine Schlagzeile: „From Athens to Athens“.

So hübsch das klingt, so falsch ist es: Die Kugelstoßer kämpfen nicht im Athener Olympiastadion um Medaillen und Lorbeerkränze, sondern im Hain von Olympia, rund 250 Kilometer westlich der Hauptstadt, dort, wo vor rund 2.800 Jahren die Spiele erstmals ausgetragen wurden. „Ich habe viele Geschichtskurse in der Schule belegt“, sagt John Godina, 32, der Dritte im Bunde der weltweit führenden US-Kugelstoßer: „Ich weiß, dass dort seit 1.500 Jahren keine Wettkämpfe mehr stattgefunden haben. Dass wir nun die Ersten sind, ist eine aufregende Idee.“

Am Mittwoch in aller Frühe beginnt an der historischen Stätte die Qualifikation für Männer und Frauen, die Finals sind für den späteren Nachmittag angesetzt. Bereits am Montag sind die Teilnehmer dorthin transportiert worden per Flugzeug und Bus. Untergebracht sind sie in der olympischen Akademie, einer Einrichtung, die man für gewöhnlich und hier besonders passend als spartanisch bezeichnen könnte.

Es hat eine Menge Diskussionen um diesen Wettkampf gegeben, der vom IOC als Reminiszenz an den Ursprung der Spiele gedacht war; nicht jeder fand die Idee so gut wie John Godina, der dreimalige Weltmeister. Archäologen aus aller Welt fürchteten, dass der Ansturm von Zuschauern den Ort verwüsten könnte. Woraufhin das IOC den Zugang streng limitiert hat: Maximal 15.000 Zuschauer dürfen sich auf den Rasenhängen niederlassen; nicht einmal temporäre Tribünen werden aufgestellt (nur für die IOC-Mitglieder soll es wenigstens Klappstühlchen geben). Es dürfen auch nicht viele Journalisten berichten, höchstens 200 wollte das IOC zulassen.

Das Kugelstoßen in Olympia wird also eine sehr exklusive Angelegenheit, und zumindest die älteren Athleten sind sich dessen bewusst. „In Olympia dreht sich alles nur um uns. Das kriegen wir nie wieder“, sagt Astrid Kumbernuss aus Neubrandenburg, Olympiasiegerin von 1996 und mehrmalige Welt- und Europameisterin. Sie hat das meiste erlebt, was ihr der Sport zu bieten hat. Was will sie mehr? „In diesem antiken Olympia meine Olympischen Spiele machen. Ich will einfach dabei sein“, sagte sie unlängst. „Diese Chance kriegen nur wir“, erinnerte auch John Godina an die Einmaligkeit dieses Erlebnisses. Von den jüngeren Athleten trauerten einige zwar der Gelegenheit nach, vor 70.000 Zuschauern im Athener Olympiastadion auftreten zu können. Aber Astrid Kumbernuss weiß, dass sie dort sowieso nur weitgehend unbeachtet in einer Ecke stoßen würden. In Olympia hingegen „werden alle Blicke auf uns gerichtet sein“.

Was freilich nicht nur Vorteile hat. Gerade weil die Stoßer im Mittelpunkt stehen, erinnern sich viele Beobachter, dass diese Disziplin die dopingträchtigste der ganzen Leichtathletik ist. In keiner anderen wurden und werden so viele Athleten des Betrugs überführt wie im Kugelstoßen: In den Ergebnislisten könnte man hinter die Bestleistungen der meisten Schwergewichte gleich auch die Gesamtdauer von Dopingsperren schreiben.

Bei Kumbernuss und Godina stünde da freilich jeweils eine Null, die Altmeister haben sich bislang nichts zuschulden kommen lassen. Auch wenn Godina glaubt, die derzeitige Dopingdiskussion werde „aufgeblasen“, so sagt er auch: „Das ist ja das, was wir die ganze Zeit wollten: Einen Sport, der so sauber ist wie möglich.“ Kollege Adam Nelson, der WM-Zweite von Paris 2003, macht sich keine Illusionen: „Es wird immer jemanden geben, der betrügt.“ Das bleibt, quasi von Olympia (in der Antike) zu Olympia (in der Neuzeit).