Antiglobalisierungs-Star ohne Allüren

Die indische Umweltaktivistin und Physikerin Vandana Shiva protestiert beim WTO-Gipfel in Cancún

Sie – ein Star? Ein Antiglobalisierungs-Star? Vandana Shiva will gerade durch die Schwingtür der Garderobe des Teatro de Cancún rauschen, doch jetzt hält sie an. „Komm rein, setz dich“, sagt sie und zeigt auf die Hocker vor dem Schminktisch. „Ich habe viele Leute gesehen, die berühmt geworden sind und denen das zu Kopf gestiegen ist. Ich werde alles tun, um nicht so zu werden.“

In dem muffigen Raum sitzt eine Frau, die so wirkt, als hätte sie noch nie in ihrem Leben auch nur einen Moment überlegen müssen, was sie sagen will. Die einem beim Sprechen in die Augen blickt. Freundlich, aber bestimmt. Vandana Shiva ist Indiens berühmteste Umweltaktivistin. Sie gehört zu den intellektuellen Vordenkern der Globalisierungskritik. Wo sie hinkommt, da sind die Säle, Stadien oder Parks voll, weshalb auch kaum eine größere Veranstaltung zum Thema stattfindet, für die sie nicht wenigstens angefragt ist.

„Sie ist die Marke, mit der wir unsere Anliegen verkaufen“, scherzt ein Umweltschützer aus der deutschen NGO-Szene. Nichtregierungsorganisationen konkurrieren bisweilen sogar darum, wer mit Vandana zusammenarbeiten darf. Doch hier im Teatro de Cancún hat sie weniger Anziehungskraft: Der Saal ist nicht mal halb voll. „Vielleicht“, meint eine der Frauen, die vor dem Theater Flyer verteilen, „liegt das daran, dass hier nur Leute sind, die Vandanas Argumente schon kennen. Dass sie meint, Agrarprodukte dürften generell nicht Thema der Welthandelsorganisation sein und Bauern müssten vor den großen Saagutfirmen mit ihrer Patentpolitik geschützt werden.“

Nicht alle WTO-Kritiker sind mit Vandana Shiva einverstanden, einigen ist sie zu radikal. Der Entwicklungsverband Oxfam hatte vor vier Jahren sogar Streit mit ihr. Die Tochter eines Försters und einer Bäuerin hatte in einem offenen Brief an Oxfam deren weniger radikale Einstellung zu Gentech-Getreide kritisiert und den Brief „leider an so viele Leute geschickt, nur nicht an uns“, hieß es in der Oxfam-Replik: Modifiziertes Getreide könne auch „gut für die Armen und für die Umwelt sein“.

Vehementere Befürworter der Gentechnik bezeichnen die indische Aktivistin als „naiv“ oder werfen ihr „grünen Elitarismus“ vor, der die Rückkehr in die Hungerzeiten der 60er-Jahre „einer modernen Agrarpolitik vorzieht“, so das britische Sozialforschungscenter SIRC. Sie wäre nicht Vandana Shiva, würden sie solche Anfeindungen beirren. „Ich mache meine Projekte aus Überzeugung“, sagt sie. Deshalb gab die Doktorin der Physik ihre Uni-Laufbahn auf und gründete 1982 ihr eigenes „Institut für die Forschung an Wissenschaft, Technik und Umwelt“. Ende der 80er-Jahre beschäftigte sie sich erstmals mit den Auswirkungen des weltweiten Freihandels für die Landwirtschaft – als eine der ersten Wissenschaftlerinnen kritisch. „Ich wusste, ich muss der Entwicklung mit meinen Analysen vorauseilen – damit ich dann schon reagieren kann“, erklärt sie. Ende der 80er-Jahre änderte sich auch Vandanas Privatleben: Ihr Mann „machte sich aus dem Staub“. Seitdem lebt sie mit ihrem Sohn allein. „Aber denken Sie nicht, ich hätte mein Kind vernachlässigt“, protestiert sie vorbeugend. „Vielleicht glaubt man in Deutschland, ich sei nur auf Achse. Aber das liegt daran, dass die Medien nicht darüber berichten, wenn ich einfach nur zu Hause auf dem Bauernhof bin.“ KATHARINA KOUFEN