Konsequent bis zum Schluss

Edward Teller, der bedeutende Physiker und „Vater der Wasserstoffbombe“, ist gestorben. Im Dienste der Wissenschaft denunzierte er sogar ehemalige Kollegen

BERLIN taz ■ Er war der wohl Konsequenteste unter den großen Physikern des 20. Jahrhunderts: In atomaren Massenvernichtungswaffen sah er das entscheidende Mittel zur Friedenssicherung. Zweifel, gar moralische Skrupel an seiner Arbeit plagten ihn fast nie. Bis zum Schluss glaubte er an das ausschließlich Positive des wissenschaftlich-technischen Fortschritts.

Am Dienstag starb Edward Teller, der „Vater der Wasserstoffbombe“, im Alter von 95 Jahren im kalifornischen Stanford an den Folgen eines Schlaganfalls. Geboren wurde er 1908 in einer jüdischen Familie in Budapest. Weil Juden in Ungarn seit Anfang der Zwanzigerjahre der Zugang zu Universitäten verboten war, ging Teller 1926 nach Deutschland und studierte dort in Leipzig Physik. 1930 promovierte er bei dem späteren Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg.

Auf der Flucht vor den Nazis kam Teller über Dänemark und Großbritannien 1935 in die USA. Als in Deutschland Ende der Dreißigerjahre unter Beteiligung seines ehemaligen Doktorvaters Heisenberg die Atomwaffenforschung begann, überredete Teller mit seinen Physikerkollegen Leo Szilárd und Eugen Wigner Albert Einstein, den damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt auf die Möglichkeit des Baus von Atomwaffen aufmerksam zu machen. Daraufhin begann auch in den USA unter dem Namen „Projekt Manhattan“ die Atomwaffenforschung.

Teller arbeitete unter Robert Oppenheimer am Bau der ersten US-Atombombe mit. Viel mehr aber beschäftigte ihn eine Idee des italienischen Physikers Enrico Fermi. Der hatte 1941 berechnet, dass Atombomben, die auf dem Prinzip der Kernfusion basieren, eine noch viel größere Zerstörungskraft entfalten als Atombomben, bei denen eine Kernspaltung stattfindet. Zehn Jahre dauerte es, bis Teller die erste Wasserstoffbombe entwickelt hatte. 1952 wurde sie erstmals auf den Marshall-Inseln im Pazifik erfolgreich getestet.

Teller war seither einer der führenden Waffen- und Rüstungswissenschaftler der USA. Fast drei Jahrzehnte leitete er das von ihm mitbegründete Livermore Laboratory, eines der großen Waffenkonstruktionsinstitute der USA. Er machte sich für atomraketenbestückte U-Boote stark, war ein Mitinitiator von Ronald Reagans Raketenabwehrprogramm SDI und plädierte für den Bau von Kernkraftwerken.

Für seine Vision von einer waffenstarrend friedensgesicherten Welt denunzierte Teller sogar ehemalige Freunde: Oppenheimer, der nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroschima und Nagasaki zu einem Atomwaffengegner geworden war, bezeichnete er in den 50er-Jahren als „Sicherheitsrisiko“. Angeblich hasste er den Titel „Vater der Wasserstoffbombe“. Als er im Juli von US-Präsident George W. Bush die Freiheitsmedaille erhielt, sagte er, er habe als Wissenschaftler oft gezweifelt, ob er richtig gehandelt habe. Ein schlechtes Gewissen plagte ihn wohl nie. Statt Atombomben über Hiroschima und Nagasaki abzuwerfen, bedauerte er, hätte man besser eine Atombombe über Tokio in großer Höhe zünden sollen. KENO VERSECK