taz-serie (6): wie fahren wir 2010?
: Mein Auto kennt den Weg

Computer statt Fahrer

„Wie könnte die Welt im Jahr 2054 aussehen?“ Dieser Frage geht Steven Spielberg in seinem Film Minority-Report von 1999 nach. Dem Film zufolge erwarten uns in Zukunft selbststeuernde Autos, die vollständig ohne die Kontrolle des Fahrers auskommen. Diese Idee ist nicht abwegig, betrachtet man die Entwicklungen in der Automobilindustrie. Die aktuelle S-Klasse von Mercedes reguliert automatisch den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug. Das „Collision Mitigation Brake System“ von Honda berechnet die Wahrscheinlichkeit eines Auffahrunfalls und leitet eine Vollbremsung ein, wenn der Fahrer auf eine Gefahr nicht reagiert.

Die Entwicklung ist damit noch lange nicht zu Ende. War es in den 80er-Jahren die Idee vom selbststeuernden Fahrzeug, steht heute die „Vision vom unfallfreien Fahren“ im Mittelpunkt. Die Zielsetzung ist die gleiche geblieben: Das Auto soll die Aufgaben des Fahrers übernehmen. So entwickelt DaimlerChrysler einen Innenstadtassistenten für Pkws, der auf die Straße laufende Kinder erkennen und auf sie reagieren soll. Microsoft tüftelt an einem Betriebssystem, durch das der Fahrer mit dem Auto reden kann.

Bis zu den – im wahrsten Sinne des Wortes – „Auto-mobilen“ aus Minority Report ist es aber noch ein weiter Weg. Vor allem stellt sich die Frage, ob Autofahrer all das wollen. Sowohl der Raser, dessen Auto ein Eigenleben entwickelt und ihm das Drängeln verbietet, als auch der defensive Fahrer, der in entscheidenden Situationen auf jeden Fall die Kontrolle besitzen möchte, werden solche Systeme ablehnen. Abgesehen davon ist die rechtliche Situation ungeklärt. Wer ist verantwortlich, wenn das Zusammenspiel von Mensch und Maschine versagt? Unklar ist auch, ob die automatischen Sicherheitssysteme im Auto nicht einfach zu risikoreicherem Fahren verleiten. Solche Erfahrungen gab es zumindest bei der Einführung des Sicherheitsgurtes und des ABS.

Hinzu kommt, dass immer mehr Computerelemente neue Gefahren bergen können. Man stelle sich nur vor, man sollte die Verantwortung für die eigene Sicherheit dem heimischen PC übertragen. Es ist zu befürchten, dass der Begriff „Computer Crash“ eine ganz neue Bedeutung bekommt.

Noch ist offen, wohin die Reise geht. Vielleicht werden sich nur relativ einfache Systeme durchsetzen, wie es etwa bei ABS der Fall war. Möglicherweise stehen wir aber auch am Anfang der Entwicklung zu vollständig selbstlenkenden Fahrzeugen. Und damit könnte ein Imagewechsel des Automobils einhergehen. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts genoss man die Freiheiten des Automobils – selbstverständlich mit Chauffeur. Es könnte wieder „hip“ werden, sich chauffieren zu lassen, diesmal jedoch vom Auto selbst. Die Grenze zwischen Fahren und Gefahrenwerden würden verschwimmen, vielleicht sogar jene zwischen Individual- und öffentlichem Verkehr. Bis jetzt ist lediglich für Minority Report der Ausgang entschieden: Spielberg lässt seinen Helden aus dem selbstlenkenden Auto ausbrechen, da es ihn seiner Selbstbestimmung beraubt und ihn der Polizei ausliefern will.

ULI MEYER

Der Autor ist Soziologe und arbeitet in der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) Nächste Woche: Schluss mit ÖPNV – neues Design für den Nahverkehr