SCHRÖDERS „VOLKSFRONT“-ATTACKE UND DER OPPORTUNISMUS DER CDU
: Der Hase erlegt den Jäger

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist nicht gerade berühmt für Anleihen aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Am letzten Wochenende ist es ihm aber spielend geglückt, mit einem Rekurs auf die Volksfront auf einer Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg Begeisterung zu entfachen. Ihm werde schlecht, so Schröder, wenn er die neue, im Kampf gegen „Hartz IV“ vereinte „Volksfront“ zwischen PDS und CDU samt ihrem „gnadenlosen Populismus“ am Werk sehe. Der Vergleich ist zwar unsinnig, erfüllt aber bei Ost-SPDlern seine Funktion als emotional aufgeladene Metapher.

Volksfronten setzten seit ihrer Geburt in den Dreißigerjahren stets eine Koalition von Sozialdemokraten, Kommunisten und linksbürgerlichen Kräften voraus. Mit ihrer Hilfe wollte man in ein Zwischenreich vordringen, von dem aus der Übergang zum Sozialismus möglich werden sollte. Volksfronten können deshalb begrifflich nicht gegen die Sozialdemokraten gebildet werden.

Was das Ost-Publikum in Brandenburg aber heraushörte, war der Anklang an die „Nationale Front“ der DDR. In dieser bis 1989 währenden Konstruktion fungierte die CDU als allzeit zustimmungswillige „Blockflöte“. Die Pointe hierbei besteht im Nachleben der Regime-Christen. Sie bildete den Kaderstamm der CDU nach 1990 im Osten, während die neu gegründete SPD sich den Aufnahmeanträgen ehemaliger SED-Funktionäre verschloss. In den Augen der Ost-SPDler wächst deshalb mit der Kritik an Hartz IV durch PDS und CDU wieder zusammen, was zusammengehört.

Freilich ist der emotionale Nährwert der Volksfrontmetapher begrenzt, denn die PDS hat von Anfang an auf der Basis prinzipieller Argumente gegen die Hartz-Gesetze Stellung bezogen, während die jetzt opponierenden CDUler häufig die Einschnitte in die Sozialleistungen, die sie bekämpfen, nicht nur mitbeschlossen, sondern noch verschärfen wollten. Es ist dieser krasse Opportunismus, den der SPD-Politiker Stiegler mit den Worten geißelte: „Erst wollen sie die Jäger sein und dann die Hasen.“ Fragt sich nur, wer bei Hartz IV die Jäger sind und wer die Hasen. CHRISTIAN SEMLER