Ein ernster Mann für ernste Zeiten

Gerhard Schröder präsentiert sich bei der Generaldebatte im Bundestag als der Mann, der Edmund Stoiber immer werden wollte: der verantwortungsvolle Staatenlenker. Da schadet es dem Kanzler nicht einmal, eigene Fehler einzugestehen

aus Berlin JENS KÖNIG

Ohne Michael Glos wäre dieser Tag alles womöglich ganz anders gelaufen. Ohne Michael Glos hätte Gerhard Schröder wahrscheinlich viel schlechter ausgesehen oder Angela Merkel viel besser, ganz wie man’s nimmt. Ohne Michael Glos hätten sie im Bundestag alle zusammen jedoch weniger zu lachen gehabt, so viel steht fest. Doch genau darin bestand gestern das Problem.

Michael Glos ist so etwas wie der Statthalter der CSU in Berlin. Er ist eigentlich ein gewiefter Politiker; gewiefter jedenfalls, als man es einem Bayern in der Hauptstadt gemeinhin zutraut. Aber im Bundestag verwandelt sich der CSU-Landesgruppenchef regelmäßig in eine bayerische Metapherndreschmaschine, die ohne Sinn und Verstand einen blumigen Satz nach dem andern in den Plenarsaal des Reichstags schleudert. Als die Maschine gestern in der Generaldebatte über den Haushalt 2004 anspringt, klingt das so: „Deutschland bewegt sich, aber es bewegt sich immer noch in die falsche Richtung.“ Zwei Minuten später: „Deutschland bewegt sich, aber im Tempo einer Schnecke.“ Noch mal zwei Minuten später: „In Deutschland bewegt sich gar nichts.“ Und immer so weiter: „Hartz und Murks, das klingt schon so ähnlich.“ Dann an den Kanzler gewandt: „Sie sprechen die gleiche Sprache wie Rudi Völler. Sie haben gesagt, sie fänden die Grünen ‚zum Kotzen‘. Sie hätten wenigstens das Wort ‚erbrechen‘ verwenden können. Obwohl ich verstehen kann, dass es einem bei so einem Koalitionspartner hochkommt.“

Es ist wie immer: Die Schwarzen johlen. Die Roten buhen. Die Grünen feixen. Und das bei über vier Millionen Arbeitslosen.

Das erklärt wahrscheinlich, warum Gerhard Schröder, der unmittelbar nach Glos ans Rednerpult tritt, plötzlich nichts mehr von dem Spieler hat, der er sonst oft ist. „Wir leben in einer Zeit schwieriger Problemlagen, national wie international“, lautet der erste Satz des Kanzlers. Mit keiner einzigen Bemerkung geht er auf Glos’ kleine Privatparty von eben ein. „Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist noch nicht gewonnen“, sagt Schröder. Er spricht über den Terror im Irak, die Selbstmordanschläge im Nahen Osten, die unsichere Lage in Afghanistan. Er erklärt die Ursachen für die wirtschaftliche Stagnation in Deutschland. Er beschreibt die Probleme der überalterten Gesellschaft und räumt en passant ein, dass es falsch war, den von der Kohl-Regierung eingeführten demografischen Faktor in der Rentenpolitik nach 1998 wieder abgeschafft zu haben. „Das war ein Fehler“, sagt Schröder freimütig, „keine Frage.“

Schröders emotionsfreie, staatsmännische Rede, gestern nicht zum ersten Mal vorgetragen, verfehlt ausnahmsweise nicht ihre Wirkung. Selbst bei der Union hören sie aufmerksam zu. Der Kanzler erweckt den Eindruck, er könne vielleicht doch noch derjenige werden, der sein Herausforderer Edmund Stoiber immer sein wollte: ein ernster Mann für ernste Zeiten.

Natürlich lehnt Angela Merkel Schröders Appell, im Bundesrat mögen Regierung, Opposition und die Länder zusammenarbeiten, später ab. Sie kleidet das in ein Bild, das sie bei Alfred Biolek abgeguckt haben muss. „Wenn Sie Kirschkuchen essen wollen, können Sie nicht erwarten, dass wir Ihnen das Backrezept dafür geben“, sagt Merkel zu Schröder. „Da müssen Sie schon selber backen.“ Aber Kirschkuchen hin, Kirschkuchen her – die CDU-Chefin verrät damit nicht, wie sich die Union im Herbst im Bundesrat wirklich verhalten wird. Für diese subtile Botschaft braucht sie allerdings geschlagene vierzig Minuten und eine Nullachtfünfzehn-Rede, in der sie vom Berliner Zeitungsmarkt bis hin zum Zentrum gegen Vertreibung noch jedes Thema abhandelt.

Die Offenheit des Kanzlers hat nur die eigenen Leute angesteckt. Franz Müntefering, SPD-Fraktionschef, überrascht mit einem Eingeständnis, das nur die Hälfte der Abgeordneten hört, weil sich die anderen schon in den Parlamentsfluren die Zeit vertreiben. „Wir wissen, dass wir Fehler gemacht haben“, sagt Müntefering. „Wir wissen, dass auch bei dem, was wir jetzt machen, wieder Fehler dabei sein werden.“ Aber, fügt er Richtung Union hinzu, „Sie machen auch Fehler.“ Da kann man für Schröder und seine Regierung nur hoffen, dass Müntefering Recht hat.