„Was soll ich denn bloß glauben“

Moderation PHILIPP GESSLER

taz: Kurz nach dem 11. September haben viele gesagt, der Anschlag würde unser Leben verändern. Wie war das bei euch: Hat sich etwas verändert?

Laura-Yami Quiroga Santamaria: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass sich unser Denken verändert hat. Ich habe plötzlich begriffen, wie sehr Terrorismus unser Leben beeinflussen kann. Es kann ganz schnell zu Ende sein.

Micha Schachtebeck: Ich war am 11. September vor zwei Jahren in Kanada im Rahmen eines Austauschjahres. Ich hatte den Eindruck, dass die Gefahr, die vom Terrorismus ausging, ziemlich übertrieben wurde. Plötzlich war Terrorismus so präsent, obwohl er vorher in Nordamerika überhaupt nicht aufgetreten ist. Am Anfang, beim Krieg gegen Afghanistan, fand ich die Reaktion der USA noch gemäßigt, weil ich selber fand, dass die Terroristen zur Veranwortung gezogen werden müssen. Aber später, mit dem immer weiter ausufernden Kampf gegen den Terrorismus, ist es offensichtlich, dass die Ereignisse des 11. September nur für politische Zwecke ausgebeutet werden.

Sandy McLarren: Ich war – wir hatten wegen irgendwas schulfrei – unterwegs auf dem Ku’damm. Mich rief ein Freund an, der mir erzählte, was passiert war – ich habe ihm zuerst nicht geglaubt, weil das Ausmaß des Geschehens so groß war. Ich selbst fühlte mich nicht bedroht. Berlin habe ich nie als Anschlagsort wahrgenommen.

Laila Kühle: Es war vorher nie so offensichtlich, wie sehr politische Entscheidungen Einfluss auf unser alltägliches Leben haben können. Ich fand es extrem, wie ein paar Menschen, die extreme politische Ansichten haben, die ganze Menschheit in diese Angst stürzen und unschuldige Menschen treffen können. Da war ich sehr schockiert.

31 Prozent der unter 30-Jährigen hält es für möglich, dass die US-Regierung die Anschläge in Auftrag gegeben hat. Überrascht euch diese Zahl?

Yami: Mittlerweile weiß ich gar nicht mehr, was ich glauben soll. Das ist so eine Sache mit den Medien. Man weiß nicht, ob das manipuliert wurde. Es gibt Hinweise darauf, dass es al-Qaida war – aber auch, dass beim Pentagon zum Beispiel das Einschlagsloch zu groß oder zu klein war und man keine Flugzeugteile mehr fand. Das hat mich doch stutzig gemacht. Auch die Tatsache, dass man Leute von der CIA, glaube ich, mit einem Mitglied von al-Qaida frühstücken gesehen hat. Das habe ich auch schon irgendwo gehört. Da fragt man sich: Inwiefern stimmt das überein mit dem, was Bush zu dem Anschlag sagt?

Sandy: Ich finde die Theorien, dass der 11. September eine Show gewesen sein könnte, Irrsinn. Ich glaube nicht, dass die Regierung eines Landes tausende Menschen umbringen würde, um in einen Krieg, der noch mehr Tote fordert, ziehen zu können oder Öl zu holen. Menschen auf der ganzen Welt hassen den derzeitigen US-Präsidenten. Ich glaube, da ist es umso schöner, wenn man dem etwas anhängen kann. Verschwörungstheorien gibt es seit tausenden Jahren. Wer hat Kennedy ermordert? Waren wir auf dem Mond? Die besten Verschwörungstheorien kommen immer aus den USA.

Yami: Wenn es stimmen würde, dass es die USA selber zum Laufen gebracht haben, haben sie garantiert nicht mit solch einem Ausmaß gerechnet. Die Twin Towers galten ja als unerschütterlich. Sie haben garantiert nicht damit gerechnet, dass es, wenn sie zwei Flugzeuge reinschießen, dermaßen eskaliert. Sie haben wohl gedacht: „Ja, okay, das fängt dann an zu brennen. Aber dann laufen die Leute raus.“ Sie haben nicht wirklich damit gerechnet, dass die Türme zusammenbrechen.

Micha: Na ja, Leute aus verschiedenen Ebenen der Türme haben gesagt, dass sie Explosionen gehört haben. Das überrascht vielleicht nicht, denn wenn ein solches Gebäude kollabiert, natürlich explodiert es da irgendwo. Ein Mitglied irgendeiner Mexican Mining Corporation meinte auch: Wie das Gebäude zusammengestürzt ist, das sah aus wie eine fachmännische Detonation, Sprengung. Diese Aussage hat er dann später zurückgenommen aufgrund des öffentlichen Drucks, weil dieser Konsens hergestellt wurde, dass es Terroristen waren. Es muss nicht zwingend stimmen, aber man weiß halt nicht, was man glauben soll. Das Einzige, was man weiß, ist, dass im Ersten Weltkrieg mit dem Untergang der „Lusitania“ 1915, mit Pearl Harbor 1941 im Zweiten Weltkrieg und beim Tongking-Zwischenfall 1964 im Vietnamkrieg die amerikanische Öffentlichkeit einem möglichen Militäreinsatz zuvor kritisch gegenüberstand. Bei Tongking und Pearl Harbor ist ebenfalls strittig, ob das nicht inszeniert wurde. Auf jeden Fall gab es dann diese Vorfälle, die Öffentlichkeit war für einen Militäreinsatz, und der Präsident hatte größere Handlungsfreiheit.

Laila: Man kann den USA bei diesen Geschichten schon einiges vorwerfen. Man muss aber sehr aufpassen, woher man seine Information holt. Man kann nicht einfach das Buch „Stupid White Men“ aufschlagen und sagen: „Da steht, dass der weiße Mann blöd ist. Deshalb bin ich gegen Amerikaner.“ Und dann gleichzeitig noch amerikanische Klamotten tragen. Man muss sich schon bewusst sein, was man sagt und welche Informationen man hat. Es gibt aber Berichte, dass man die Technik hatte, um Flugzeuge in die Fernsehaufnahmen hineinzuschneiden. Damit es nur so aussieht, als flöge da ein Flugzeug hinein. Aber ich denke, das haben schon einige mit eigenen Augen gesehen.

Könnte es sein, dass die Attentate von al-Qaida verübt wurden, aber die USA es nicht verhindert haben? Hört man das häufiger bei euch?

Yami: Ja, schon.

Micha: Die Leute, die heute Berater oder Minister bei Bush sind, waren ja auch schon zu Clintons Zeit bekannt durch ihre Meinungsäußerungen. Da gab es 1998 einen offenen Brief an den Präsidenten, in dem zu einer Neuordnung des Nahen Ostens aufgerufen wurde, die zur Not auch militärischer Art sein sollte. Ziel war, die Sicherheitslage Israels zu verbessern und die Ölaufkommen zu sichern – so klischeehaft, wie es klingt. Es sind ja nicht nur die USA, die von dort ihr Öl beziehen. Es ist ja auch ein vitales Wirtschaftsinteresse der halben westlichen Welt.

Wenn unter euren Freunden jemand sagt, dass die US-Regierung die Anschläge angezettelt oder zumindest geduldet hat: Wie reagiert ihr darauf? Sind diese Leute dann akzeptiert oder eher die Außenseiter?

Yami: Nein, ich finde das toll. Ich finde das interessant, neue Theorien oder die Meinung anderer Leute zu hören.

Laila: Das zeigt politisches Interesse.

Yami: Sie beschäftigen sich damit. Das ist ja auch eine Basis, von der man Informationen bekommt: von anderen Leuten. Die machen sich ihre eigenen Gedanken und verbreiten sie. Solange sie das verbal machen und keine radikalen Dinge tun, finde ich das interessant.

Gibt es das häufiger in euren Kreisen: große Abneigung, ja Hass gegen Amerika?

Sandy: Ja, sogar bei Leuten, die zur amerikanischen Schule gehen oder Halbamerikaner sind. Dieses „Amerikaner sind bescheuert und wollen den Krieg“ fand ich sehr traurig. Allein dass amerikanische Fahnen am Alexanderplatz verbrannt wurden, hat mich sehr schockiert. Das war irrational, zumal manche von denen gleichzeitig amerikanische Klamotten trugen. Die Mehrheit der US-Bürger hat diesen Präsidenten nicht gewählt und war auch nicht für den Irakkrieg. Anti Amerika zu sein ist etwas komplett Falsches. Man kann gegen die Regierung sein oder gegen ihre Motive und Aktionen, aber nicht gegen ein ganzes Land.

Laila: Ich war auf der großen Demo am 15. Februar. Ich habe gemerkt, dass es keine Antikriegsdemo war, sondern zu einer Anti-Bush-Demo wurde. Ich dachte mir: Das kann doch nicht sein – die sehen nur dieses „Bush ist Scheiße“. Das sieht man auch, dass junge Menschen irgendwie noch eine Persönlichkeitsentwicklung vor sich haben, eine Meinung suchen. Da gibt es nun mal den Trend, dass Amerika doof ist. Da hängt man sich dran, ohne wirklich eine Ahnung zu haben. Ich kenne Bush nicht. Aber vielleicht kann man sagen: Die Art, wie er regiert, ist unvorteilhaft. Aber so extrem wie „Bush ist Scheiße“ kann man es nicht ohne Hintergrundinformationen sagen.

Ihr wart fast alle schon mal in den USA: Ist das ein Traumland für euch?

Laila: Nein. Viele Gesetze in den USA sind nur schwer nachvollziehbar. Da frage ich mich schon: Ist das wirklich ein freies Land? Es gibt sicher beruflich viele tolle Sachen in Amerika, wenn man hinkommt und keinen Job hat. Ziemlich toll ist auch, dass es so eine Vielfalt von Menschen gibt.

Jetzt jährt sich der 11. September zum zweiten Mal: Werdet ihr etwas Besonderes machen an diesem Tag?

Yami: Ich glaube nicht, dass ich etwas Besonderes machen werde. Vielleicht gibt es was in der Schule, weil es ja eine deutsch-amerikanische ist. Wenn nun schulfrei wäre, würde ich ein wenig daran denken, aber im Hinterkopf.

Laila: Terrorismus und Islam werden ja oft verwechselt. Wir haben auch im Religionsunterricht gesehen, wie sich Terrorismus im Islam verankern kann, aber eigentlich nichts damit zu tun hat. Darüber würde ich gern viel reden. Bei dem Kanzlerduell zur Wahl hat Edmund Stoiber zum Terrorismus gesagt, man müsse Deutschland vor den schlimmen Leuten etwa aus dem Jemen schützen. Ich bin Halbjemenitin. Ist das dann in den Genen verankert, dass man zum Terrorismus prädestiniert ist? Das kann doch nicht sein, dass er das einfach so allein in den Raum stellt.

Sandy: Ich werde am 11. September mehr als sonst schauen, was die Presse jetzt über den 11. 9. schreibt.

Der 11. September – kein großes Thema mehr bei euch?

Laila: Es wurde ein bisschen überreizt. Das Wort des Jahres 2001 war ja „11. September“. Ich glaube, man muss jetzt ein wenig Abstand gewinnen, damit man sich irgendwann wieder richtig damit auseinander setzen kann.