Die Welt ist eine Drehbühne

Vom Schwindel und von der Stagnation: Die Volksbühne schließt wegen Sanierung und lädt zu einem Abschiedsmenuett

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Welt ist eine Scheibe, zumindest auf der Drehbühne des Theaters. Insofern könnte der gigantische Apparat Drehbühne, dessen Sanierung jetzt in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ansteht, als das Modell eines antiquierten Weltbildes gelten. Aber die Drehbühne ist eben nicht nur ein klassisches Instrument des Theaters, das für einen schnellen Bühnenbildwechsel sorgt, sondern sie wird von den Theatermachern heute immer häufiger auch für die Annäherung an einen filmischen Erzählfluss genutzt. Auch das nahm auf der nun schon lange maroden Drehbühne der Volksbühne seinen Anfang etwa mit Christoph Schlingensief.

So ist die Drehbühne auch im Theater der Gegenwart ein probates Medium geblieben, über technische Umbauten hinaus ein modernes Weltbild auf die Bühne zu zaubern. Zumindest, wenn sie reibungslos funktioniert. Bei der „Tosca“, die der Regisseur Sebastian Baumgarten vor einem Jahr in der Volksbühne inszenierte, war das aber schon schwierig. Denn anhalten ließ sich der tonnenschwere Drehteller, einmal auf Trab gebracht, nicht mehr auf normalem Wege, sondern nur, indem der Bühnenmeister rechtzeitig den Rückwärtsgang einlegte. Auf die Nutzung der Hubpodien, die sich so günstig für die plötzliche Erhebung aus dem Bühnenboden machen, musste wegen des lauten Rumpelns der Theatermaschine gleich ganz verzichtet werden.

Seit 1996 wisse man von dem großen Sanierungsbedarf der Unterbühne, sagte Stefan Pelz, Technischer Direktor der Volksbühne, bei einem Rundgang durch das Haus und seine Keller, zu dem die Volksbühne und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vier Wochen vor der Schließung des Theaters am 18. März eingeladen hatten. Aber weil man die Volksbühne nicht gleich für mehrere Jahre zumachen wollte, wurden die Baumaßnahmen gestreckt, die Planenverkleidung für die Arbeit an der Fassade ging ja erst vor kurzem zu Ende. Die Arbeiten, die jetzt bis Oktober folgen, an der Unterbühne, am Lüftungs- und Brandschutzsystem für den Zuschauersaal, sollen den Abschluss bilden.

Als die Volksbühne 1913/14 nach den Plänen von Oskar Kaufmann gebaut wurde, war sie der erste moderne Theaterbau Berlins und hat noch immer den größten Zuschauersaal. Die heutige Technik stammt von 1952, aus den Anfangsjahren der DDR, ebenso wie die elegante Holzvertäfelung im Zuschauersaal, deren Raumeindruck erhalten bleiben soll. Auch wenn das schwierig werden kann, weil das Furnier der Paneele sehr dünn ist und man die alte Dämmung darunter entsorgen muss, wie Bauleiter Wolfgang Meier erklärte.

Im ersten Untergeschoss der Volksbühne kann man die unterschiedlichen Zeitschichten der teilweisen Erneuerung der Elektrik, zum Beispiel, oder der nachträglich gelegten Leitungen für Videotechnik fast mit Händen greifen. Schmal ist das sogenannte „Festland“, das hier die Unterbühne von 19 Meter Durchmesser umgibt. Bis ins zweite Untergeschoss reicht der Drehbühnenzylinder, der hier auf einem Schienenring rollt. Weil fraglich war, ob sich die Bruchschäden in dessen Stahlkonstruktion überhaupt reparieren lassen, entschied man sich für seine komplette Erneuerung, ebenso wie der Bühnenpodien, deren Antrieb nicht nur laut war, sondern auch Sicherheitsbedingungen nicht mehr erfüllte. Dafür gibt es keine standardisierten Bauelemente, jedes Element ist eine Spezialanfertigung aus einem Betrieb nahe Dresden, der auch schon die Bühnenmaschinerie in den Fünfzigerjahren geliefert hat. Zwei Drittel des Budget von 12,5 Millionen Euro, die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für die Sanierung bereitgestellt wurden, sind für die Technik veranschlagt.

Bis Oktober 2009 sollen die Arbeiten dauern. Kühn sind die Pläne für die Zeit der Schließung, die der Bühnenbildner Bert Neumann vorstellt. Nicht nur, weil sie im Freien mit einer Zuschauertribüne, die vor der Volksbühne aufgebaut wird, an ein antikes Amphitheater erinnern und auf das Mitspielen des guten Wetters ab dem 20. Mai setzen. Auf diesen „Einbruch der Realität“ in ihre Inszenierungen und den Ausbruch aus dem geschlossenen Theaterraum freuen sie die Regisseure schon. Auch inhaltlich hat sich das Haus für die Zeit des Umbaus viel vorgenommen: Denn mit einem „Prometheus“ von Dimiter Gotscheff, einer „Orestie“ von Johan Simons und weiteren Dramen antiken Ursprungs wirkt das Programm wie eine Rückbesinnung auf die Quellen des Theaters.

Darauf kann man gespannt sein. Getrübt wird die Freude allein durch die Vorstellung, dass die Eventisierung des Umbaus und die Fantasie, die in das Ersatzprogramm geflossen ist, im Alltag der Volksbühne abhanden gekommen ist. Da stand in den letzten Spielzeiten nur noch wenig auf dem Programm, was man wirklich mit Spannung erwartet hätte. Deshalb wirkt die Ankündigung von Schließung und Sanierung auch wie eine willkommene Zäsur, den Stand der eigenen Ressourcen und die Zukunft des Theaters zu überdenken.

Am 7. März lädt die Volksbühne zu einem „Berliner Abschiedsmenuett“ ein, mit 17 Schauspielern und zwei Musikern, arrangiert von Lothar Trolle. Die Revue der Highlights der letzten Inszenierungen von Castorf und Pollesch wird von der Volksband begleitet