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: Berlin, ein Rolemodel für den Umgang mit der eigenen Verschuldung

Wie sich Regionalismus und kulturelle Vielfalt in einem schönen Lied versöhnen

Nach der langen Sommerpause gibt es endlich einen neuen Trend zu vermelden: Berlin ist wieder schwer im Kommen! Die Stadt hat so viel zu bieten! Hier schließen und eröffnen Nobeldiscotheken am laufenden Band, hier geht es einfach total ab. Und ist es nicht irgendwie sexy, wie die Stadt so nonchalant – teilnahmslos am Abgrund steht?

Wer sonst als Berlin könnte ein besseres Rolemodel für das Umgehen mit der eigenen Verschuldung sein! Der neue Berlintrend setzt sich auch immer mehr in den Künsten durch. Das Berlinbuch ist im Moment zwar nicht so gefragt, in Mode und Musik ist Berlin aber wieder ein Topthema. So berichteten bereits alle Lifestyle-Stadt- und Frauenmagazine über die tollen Berlinjacken, die es angeblich auch in Hamburg gibt. Beim Berliner Fabrikat läßt sich auf der Rückseite sogar das Umzugsjahr einmeißeln. Aber auch das Berlin T-Shirt, jahrelang nur in der Kultvariante „Kreuzberg 36“ bekannt, ist jetzt in anderen Ausführungen wie „Kastanienallee“ und „Oderberger Straße“ erhältlich.

Auch in der Musik setzt man voll auf Berlin. Vorbei die Zeiten als Bands wie Angelika Expreß mit einem dämlichen Berlin-Diss „Geh doch nach Berlin“ versuchten Aufmerksamkeit zu erregen. Das Berlinlied erlebt einen neuen Aufschwung. Es fing mit Seeed und dem Dicken B im Sommer 2001 an, dann hieß es in der Kinobierwerbung : „Berlin du bist so wunderbar“, es folgte der Sommerhit „Görli Görli“.

Nun ist natürlich jede Form von übertriebenem Regionalimus und Lokalpatriotismus kritisch zu betrachten. Bemerkenswert am Berlin-Hit „Görli Görli“ ist jedoch, dass hier durch engagierte Nennung fast sämtlicher Berliner Plätze der ewigen Bezirksfehderei der Boden entzogen wurde. Eine Bezirkswertung ist nur versteckt, rein lautmalerisch zu erahnen. Außerdem spiegelt das Lied moderne Familienkonstellationen wieder – Vater wohnt am Savigny – Mutter in der Prenzlauer (aua), plädiert für liberale Rauschmittelgesetze und besingt die kulturelle Vielfalt unserer schönen Stadt.

In den deutschen Charts auf Nummer eins ist wiederum ein anderes Berlinlied: „Angel of Berlin“ vom „Star Search“-Gewinner und Reinickendorfer Martin Kesici. Das Lied kommt allerdings etwas schmusiger und angepasster daher, als man es vom stets im gepflegten Soft-Heavymetal- Style auftretende Interpreten erwartete. Um was es in „Angel of Berlin“ genau geht, ist schwer zu sagen. Der Sänger berichtet darin von einer schicksalhaften Begegnung: An einem stürmischen Montag traf er auf eine rästelhafte Sie, die auf der Straße nach Nirgendwo war, wo er sich zufälligerweise auch gerade befand. Die Melodik des dramatischen Songs ist dabei mehreren Robbie Williams – Liedern stark nachempfunden. Steckt in „Angel of Berlin“, vielleicht eine versteckte Botschaft an die alten Motorradkumpels des Sängers (Hells Angels)? Man weiß es nicht.

Noch rätselhafter ist die vorherige Nummer 1, der „Burger Dance“ von DJ Ötzi. “Mac Donalds, Mac Donalds, Kentucky Fried Chicken and the Pizza Hut“, heißt es da triumphierend im Refrain. Wer samstags die Kultursendung „Top of the Pops“ verfolgt, weiß, dass zu dem rätselhaften Lied auch ein anmutiger Tanz gehört. In einer genialen Synthese aus Ententanz und der gewissermaßen ikonografischen Darstellung der Logos der jeweiligen Essfirmen wird die Message so aufs Sinnigste in Bewegung umgesetzt.

Informierte Kulturkritiker wollen wissen, dass der berühmte österreichische Szene-DJ auch werbe-ökonomisch mit allen drei Fastfoodketten verbandelt sei. Höchste Zeit also, zum Berlin-Song-Boom endlich einen passenden Tanz zu erfinden.

CHRISTIANE RÖSINGER