„Geradezu aberwitzige Regelungen“

Am Wochenende veranstaltet Berlin seinen ersten „Stiftungstag“. Christoph Mecking, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, sieht viel in Bewegung für die Stifter, Berlin könnte aber mehr tun für bürgerschaftliches Engagement

Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Mecking, Ihr Verband, die Senatskanzlei und Partner für Berlin veranstalten den „Ersten Berliner Stiftungstag“. Warum?

Christoph Mecking: Wir haben den Stiftungstag angeregt, damit in der Hauptstadt die Rolle der gemeinnützigen Stiftungen deutlicher hervortritt. Die Stiftungen sollen mit ihren Leistungen für das Gemeinwohl mehr in das Bewusstsein gehoben werden und im Kontakt mit der Bevölkerung Unterstützung gewinnen.

Welche Bedeutung haben Stiftungen heute?

Ihre Bedeutung nimmt stetig zu. Wir haben stark wachsende Errichtungszahlen. 1990 etwa gab es 181, 2002 fast 800 Stiftungsneugründungen insgesamt. In Berlin kennen wir derzeit 553 Stiftungen aller Art. Hinzu kommen rund 80 Stiftungen, die hier ihren Geschäftssitz haben.

Worauf führen Sie denn diesen Stiftungsboom zurück?

Zum einen ist es bekannter geworden, dass Stiftungen ein gute Sache sind, in denen man sein eigenes gemeinnütziges Engagement verstetigen kann. Zum anderen befinden wir uns in einer Situation, wo die Gründergeneration der Bundesrepublik abtritt und ihr Vermögen beziehungsweise ihren Reichtum sinnvoll weitergeben möchte. Wenn Abkömmlinge fehlen, bietet sich eine Stiftung geradezu als Wunscherbe an.

Stiftungen übernehmen zusehends politische und gesellschaftliche Aufgaben. Unterstützen sie damit nicht eine Deregulierung?

Eine lebendige Demokratie lebt von der Vielfalt der Meinungen und Stiftungen lassen sich ungern als Lückenbüßer begreifen, Stifter definieren ihre Aufgaben selbst. Natürlich werden sie besonders dort tätig sein, wo auch der Bedarf am größten ist. Insofern entlasten sie indirekt auch den staatlichen Haushalt. Dafür gibt es ja Steuervorteile, wenn man Stiftungen errichtet. Es wäre aber ein falsches Verständnis, wenn der Staat glaubt, dass genau dort Stiftungen entstehen, wo er sich zurückzieht. Bürgerschaftliches Engagement darf nicht gelenkt werden, sonst findet es nicht statt.

„Anstiften zum Stiften“ ist das Motto des Berliner Stiftungstages. Sind die Berliner keine tüchtigen Stifter?

Die Stiftungsdichte ist in Berlin vergleichsweise gering. Auf 100.000 Einwohner kommen hier 17 Stiftungen, in Hamburg etwa sind es 51. Außerdem gibt es hier große Stiftungen des öffentlichen Rechts – etwa die Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder die Stiftung Technikmuseum –, die nicht Ausdruck privaten Engagements sind. Es gibt also viel Nachholbedarf, um an die frühere mäzenatische Kultur in der Stadt wieder anzuknüpfen.

Welche Rolle hat die lange Teilung der Stadt für das Stifterwesen gespielt?

Sicher war die Teilung der Stadt ein Grund für den Rückgang der privaten Stiftungsidee in Berlin: Der Westteil konnte allein aus Bundeshilfen weiterexistieren, im sozialistischen Ostteil wurden bestehende Stiftungen regelrecht zerstört. Was man nicht vergessen darf, ist, dass die Wirtschaftskraft entscheidend für das Entstehen von Stiftungen ist. Und da Berlin zurückliegt, schlägt sich das auch auf die Stiftungslandschaft nieder.

Wo liegt der Schwerpunkt der Stiftungstätigkeit in Berlin?

Die meisten Stiftungen verfolgen soziale Zwecke, gefolgt von Stiftungen für die Wissenschaft und Forschung sowie für Bildung. Danach kommen Stiftungen für Kunst, Kultur und Umweltschutz.

Sie werfen Berlin vor, mit unnötigen Vorschriften die Stiftungslandschaft zu behindern. Was sind das für Vorschriften?

Das Berliner Stiftungsgesetz ist zwar von wenigen Wochen an die bundesrechtlichen Vorschriften angepasst worden. Beibehalten wurden jedoch geradezu aberwitzige Regelungen eines veralteten kameralistischen Rechnungswesens. Außerdem werden selbst kleine Stiftungen von der Behörde gezwungen, sich durch einen Wirtschaftsprüfer prüfen zu lassen. Dadurch entstehen diesen hohe Kosten, die bei der Verwirklichung gemeinnütziger Zwecke fehlen. Das ist ein erheblicher Nachteil für den Stiftungsstandort Berlin. Stifter legen den Sitz woandershin. Das bringt einen Nachteil für die Stadt, der Senat muss dies einsehen. Solche „Berliner Zöpfe“ müssen abgeschnitten werden.

Seit wann gibt es in der Stadt Stiftungen?

Die älteste ist die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist in Spandau 1244.

Muss man zur Familie Thyssen oder Reemtsma gehören, um eine Stiftung zu gründen?

Man muss kein riesiges Vermögen haben, um eine Stiftung zu gründen. Wenn man es alleine tut, wird ein Mindestvermögen von 50.000 Euro erwartet. Es sollte aber mehr sein, weil der Zweck nur aus den Erträgen verwirklicht werden kann. Man kann aber auch mit anderen gemeinsam agieren, wie in der „Bürgerstiftung Berlin“, dann reichen sehr viel geringere Beträge.