Ein Sieg der Kuscheligkeit

Beim 2:1 der energievollen deutschen Fußballer in der EM-Qualifikation gegen die kooperativen Schotten geht es ungemein harmonisch zu – wenn auch erst nach Ende des lästigen Matches

„Über außen ist der richtige Weg“, stellte Arne Friedrich kategorisch fest

aus Dortmund MATTI LIESKE

Das Wichtigste vorneweg: Es ging ausgesprochen manierlich zu beim EM-Qualifikationsspiel in Dortmund, das die Deutschen mit 2:1 gegen die Schotten gewannen. Natürlich nicht auf dem Platz, aber dafür dort, wo es viel wichtiger ist, in der Nachbetrachtung und beim allgemeinen Drumherum. Vor allem die zartbesaiteten deutschen Sportjournalisten durften aufatmen, die in den Tagen zuvor emsig die „derbe Wortwahl“ von Teamchef Rudi Völler bei seiner Anti-Guru-Predigt und seinen Mangel an Vorbildhaftigkeit für die schockierte Jugend beklagt hatten. Diesmal wurden ihre empfindlichen Gemüter nicht durch solch scheußlich obszöne Vokabeln wie „Scheißdreck“ oder, igittigitt: „Käse“ beleidigt. Stattdessen fand der Teamchef freundliche Worte für die Analyse des teuflischen Mäkelduos Netzer/Delling, die wiederum lobten den engagierten Auftritt der Mannschaft, Berti pries Rudi, Rudi pries – etwas verhaltener – Berti, und selbst die schottischen Fans im Westfalenstadion trugen zur allgemeinen Harmonie bei. Auf ihren T-Shirts standen auf Deutsch die Worte: „Wir hassen England mehr als euch.“

Störend hätte inmitten solcher Wonnigkeit eigentlich nur ein Faktor wirken können, der leider unvermeidlich ist bei solchen Anlässen: Es fand auch noch ein Fußballspiel statt. Zum Glück zeigten die deutschen Spieler „die gewünschte Trotzreaktion“, wie der auf links agile Tobias Rau die offizielle Sprachregelung auf den Punkt brachte, und die Schotten erwiesen sich nicht als solch boshafte Spielverderber wie die Isländer einige Tage zuvor beim 0:0 in Reykjavík. „Der Gegner hat unser Spiel anders zugelassen“, gab der auf rechts agile Arne Friedrich freimütig zu.

Aber bitte: Man muss solche Angebote auch nützen können. Und dass dies die zuvor arg gescholtenen Spieler von Anbeginn zur Freude des gerade in diesen schweren BVB-Zeiten leicht zu begeisternden Publikums taten, war auch ein Verdienst der Außenbahnspieler Rau und Friedrich. „Über außen ist der richtige Weg“, stellte Friedrich kategorisch fest. Ein Verdienst von Rudi Völler und seines Assistenten Michael Skibbe war es wiederum, dass dieser Pfad der Tugend auch beschritten werden konnte. Sie hatten erkannt, dass es wenig Sinn macht, Teams, die überaus defensiv spielen, eine Viererkette in der Abwehr entgegenzustellen. Also sicherten nur Wörns, Ramelow und Rehmer mit gewohnter Wackligkeit hinten ab, Baumann wurde zum defensiven Angelpunkt im Mittelfeld, sodass sich Ballack überall herumtreiben konnte, Schneider besser zur Geltung kam, Rau und Friedrich munter vorstürmten und der mit Bobic und Kuranyi beweglich besetzte Angriff vielmehr Bindung zum Spiel fand als in Reykjavík. Die zahlenmäßige Stärke im Mittelfeld, ergänzt durch verbesserte Lauffreude, führte zu vielen gewonnenen Zweikämpfen. Und wer Zweikämpfe gewinnt, bekommt irgendwann auch Torchancen.

Da aber nur zwei dieser Gelegenheiten genutzt wurden und der einzige schottische Geistesblitz die Konteranfälligkeit der deutschen Abwehr mit dem Anschlusstreffer bloßstellte, endete das Match knapper als nötig. Und wäre der eingewechselte Morris Ross nicht zum Bauernopfer einer hitzigen Phase in der zweiten Halbzeit avanciert, es hätte noch einmal knifflig werden können. Ein weiteres Gegentor und die Après-Match-Rituale wären wohl weit weniger kuschelig ausgefallen.

Die Schotten waren denn auch überaus erbost und äußerten diverse Verschwörungstheorien, wie sie ja gerade en vogue sind und im Umfeld von Berti Vogts ohnehin prächtig zu gedeihen scheinen. Die Angewohnheit von Tobias Rau, bei jedem Körperkontakt wie ein Springteufel zwei Meter hoch in die Luft zu fliegen und dabei laut zu schreien, erfüllte die ehrlichen schottischen Braveheart-Gemüter auf Rasen und Rängen mit tiefer Verbitterung – vor allem als Ross nach zwei Tacklings, wie man sie in Schottland in der Vorschule lernt, von Schiedsrichter Frisk mittels gelb-roter Karte vom Platz gestellt wurde. „Er hatte nicht seinen besten Tag“, äußerte sich Vogts uncharakteristisch vorsichtig über den Schweden.

Ansonsten war der schottische Coach zufrieden mit den Seinen und fand es „stark, wie die deutsche Mannschaft von Anfang an das Spiel dominiert hat“. Völler freute sich über „phasenweise herrlichen Kombinationsfußball“ seines Teams, noch mehr aber darüber, dass gerade die jüngeren Leute dem Spiel „die tollen Impulse“ gegeben hätten. Eine leichte Überhöhung des Geschehenen, die deutlich machte, welche Last von seinen Schultern gerutscht war. Der Druck sei größer gewesen, als es „der ein oder andere ertragen konnte“, verriet er, drum habe er den Spielern immer wieder gesagt: „Es ist doch nur ein Fußballspiel.“ Das soll er mal Günter Netzer erzählen.

Natürlich kam Völler nicht umhin, sich noch einmal zu den Turbulenzen vor der Partie zu äußern. „Es waren schwere Tage“, berichtete er, „es war ja unmöglich, ein Fernsehprogramm anzumachen, wo ich mich nicht gesehen habe.“ Eine Art Déja-Jauch-Erlebnis sozusagen, das dem Teamchef ganz und gar nicht behagte.

Nach dem 2:1 gegen die Schotten war der polternde Straßenfußballer jedenfalls brav ins Völler’sche Innenleben Richtung Magengeschwür zurückgeschlüpft und der freundlich-verbindliche Rudi hatte seinen angestammten Platz eingenommen. Schließlich ist die Mannschaft nun wieder das, was sie nach Meinung des Herrn Netzer unbedingt zu sein hat, Tabellenführer nämlich. Die nahtlose Zusammenführung von alter und neuer deutscher Fußballherrlichkeit scheint bis auf weiteres geglückt. Es sei denn, die bösen Isländer mimen am 11. Oktober wieder den Spielverderber.

Deutschland: Kahn - Rehmer, Ramelow, Wörns - Friedrich, Baumann, Rau - Schneider (81. Kehl), Ballack - Bobic, Kuranyi (75. Klose)Schottland: Douglas - McNamara, Pressley, Dailly, Naysmith - Lambert (46. Ross), Ferguson, Cameron, McCann - McFadden (53. Rae), ThompsonZuschauer: 67.000; Tore: 1:0 Bobic (25.), 2:0 Ballack (50./Foulelfmeter), 2:1 McCann (60.) Gelb-Rote Karte: Ross (66.)