Warten auf die Abrissbirne

Die Rettungspläne liegen längst bereit, auch Investoren gibt es schon. Die Sanierung eines ganzen Stadtteils in Achim liegt dennoch auf Eis, weil das Zwangsversteigerungsverfahren stockt. Passiert nichts, droht dem Viertel die völlige Verslummung

taz ■ „Lebensmittel“ steht auf der verdreckten, kaputten Leuchtreklame über der Tür. Eingeworfene Scheiben verraten, dass hier schon lange keine Milch mehr über die Ladentheke ging. Links und rechts ragen Häuser-Ruinen in die Luft. Manche der Fenster im Erdgeschoss sind mit Holzbrettern vernagelt. Am Straßenrand spielen Kinder zwischen Scherben und Müll. Nein, das ist kein zerbombtes Dorf im Kosovo. Das ist Achim, kurz vor Bremen.

Früher tobte hier im „Magdeburger Viertel“ das Leben. Der Stadtteil entstand in den siebziger Jahren im Rahmen des sozialen Wohnungsbauprogramms. Wohnraum war knapp – und das „Magdeburger Viertel“ die Lösung: mehrere viergeschossige Häuser, dazwischen das so genannte „Servicehaus“ mit 110 Wohneinheiten, im Erdgeschoss saß der Hausmeister. Es gab einen Waschsalon, Babybetreuung und einige kleine Geschäfte. Alle Wohnungen waren belegt, die Wartelisten lang.

Inzwischen steht das „Servicehaus“ schon seit vier Jahren leer. Gegenüber verfällt der „Schwarze Container“, ein komplett schwarz verkleidetes Hochhaus mit an die 60 Wohneinheiten. Die letzten Mieter sind im Juli ausgezogen. Sie wurden umgesiedelt, weil der „Container“ sowie das „Servicehaus“ komplett abgerissen werden sollen.

„Als ich 1981 hierher kam, gab es sogar noch die Reste eines Bürgerrats“, sagt Dirk Ysker, Sozialarbeiter im dortigen Bürgerzentrum. Der aber löste sich schon wenig später auf, weil es zu Prügeleien zwischen den Mitgliedern kam. Auch sonst nahmen die Spannungen im Viertel zu. Gastarbeiter etwa, zehn Jahre zuvor noch heiß umworben, wurden den anderen BewohnerInnen des Viertels zunehmend unbequem. „Irgendwann ist das soziale Gleichgewicht gekippt“, sagt Ysker.

Viele der Wohnungen wurden Anfang der 90er-Jahre privatisiert. Die meisten von ihnen kaufte damals eine Bremer Privatfrau. „Die hat die Wohnungen verrotten lassen und sich nie um die Belegung gekümmert“, schimpft Ysker. „Seit Jahren will hier niemand mehr herziehen.“ Viele der Bewohner sind albanische und kurdische Familien, denen die Abschiebung droht.

Trotz allem hat Achim mit dem „Magdeburger Viertel“ Großes vor. Seit drei Jahren nimmt die Kleinstadt am Bund-Länder-Projekt „Soziale Stadt“ teil. 2,5 Millionen Euro Fördermittel hat Achim schon eingestrichen – weitere Millionen sollen fließen. „Der Rahmenplan für die umfassende Sanierung liegt in der Schublade“, sagt Stadtplanerin Angelika Steinbach.

Dort aber wird er noch eine ganze Weile bleiben. Denn die Bremer Eigentümerin der Wohnungen ist pleite und die Zwangsversteigerung läuft – und dauert im schlimmsten Fall noch Jahre. Erst wenn alles verhökert ist, kann die Stadt ihre Pläne mit den Investoren umsetzen. Den „Schwarzen Container“ sollen dann Reihenhäuser ersetzen, das „Servicehauses“ verschwinden. „Wir brauchen hier dringend Grünflächen“, sagt Steinbach. Auch Sozialarbeiter Ysker ist für die Radikal-Sanierung. Jeder weitere Monat, der verstreicht, zermürbt, sagt er: „Wir warten auf den großen Schritt.“ Und: „Ich rechne fest damit, dass hier wieder Menschen herziehen – wenn erst mal die Ruinen weg sind.“ Stephanie Silber