Dösende Dreißigjährige

Die Medien, der Alltag, die Popkultur: Die deutsch-britische Performancegruppe Gob Squad lud im Mercure Hotel Berlin Tempelhof Airport zu „Room Service – Help Me Make It Through The Night“

von EVA BEHREND

Das Mercure Hotel Berlin Tempelhof Airport in der Neuköllner Hermannstraße gehört nicht gerade zu den Top Hundert der auratischen Orte dieser Stadt. Außen gesichtsloser Neubau, innen die leicht überladene Kunststoffkonfektion durchschnittlichen Kettenhoteldesigns. Doch vielleicht würden Funktionsgebäude, die täglich diversen Dutzend Dienstreisenden einen überdachten Fernseher mit Frühstücksbuffett zur Verfügung stellen, mit mehr Ausstrahlung oder gar „Persönlichkeit“ auch nur nerven? Solche Fragen stellen sich, während man in der Lobby auf Einlass wartet. Die deutsch-britische Performancegruppe Gob Squad lädt hier zu „Room Service – Help Me Make It Through The Night“. Oder auch zum „interaktiven Live-Film über den Verlauf einer Nacht“, koproduziert vom Berliner Podewil und Kampnagel Hamburg.

Gob Squad sind alte Hasen in Sachen Life Art und Performancekunst. Von den sechs Theater- und Kunststudenten aus Gießen und Nottingham, die 1994 die Truppe gründeten, blieb ein harter Kern von vieren; Berit Stumpf und Johanna Freiburg arbeiten außerdem weiterhin bei She She Pop, die in der vergangenen Woche mit dem kunstvoll bunt inszenierten Gesellschaftsspielabend „What‘s Wrong“ im Podewil ihren zehnten Geburtstag feierten. Auch Gob Squad hat Theater schon einmal und doch ganz anders als Geburtstagsparty mit kollektivem Bastelexzess betrachtet („Say it like you mean it“, 2000), aber auch viele Versuchsanordnungen installiert und mit Video gearbeitet. Häufig „sitespecific“, das heißt an für Theater nicht vorgesehenen Orten, die zugleich der Kunst das Thema vorgeben.

Im Konferenzraum „Hasenheide“ guckt nun das Publikum auf vier große, nebeneinander gereihte Bildschirme, die in Echtzeit dokumentieren, was in den Räumen 240, -42, -44 und -46 vor sich geht: Vier Anfang-Dreißigjährige dösen, jeder allein im Zimmer, auf dem selben Hoteldoppelbettplumeau. Irgendwann beginnt Johanna Freiburg fernzusehen, dreht Sarah Thom sich Lockenwickler ins Haar, konsultiert Jean Patten die Minibar. Simon Will macht noch ein Nickerchen. Lange, meditative Exposition. Wann kam eigentlich noch mal Big Brother ins Fernsehen? Diese vier Freunde fummeln jedoch selbst an der Kamera herum und verändern deren Winkel, sie fangen an, mit ihr zu sprechen, und blicken dem Zuschauer tief in die Augen: Patten will plötzlich einen Job bei Mercure und füllt anstelle einer Bewerbung den Kundenfragebogen aus („Ich kreuze überall ‚Exzellent‘ an und schreibe unter Bemerkungen: ‚But I know, how you can do better!‘“). Sarah Thom stellt die Fotos der Werbefaltblättchen nach. Simon Will ruft, nachdem er auf wirklich bezaubernde Weise beim Stadt-Land-Fluss-Spielen gegen sich selbst verloren hat, im Konferenzraum „Hasenheide“ an, um via Zimmertelefon einen Mitspieler aus dem Publikum für „Wahrheit oder Pflicht“ zu finden. Johanna Freiburg denkt laut darüber nach, wie sie die Putztruppe davon überzeugen kann, dass sie nicht die Frau ist, „die keinen Dreck macht“. „Ich könnte auf dem Weg vom Bad zum Fenster mit meinen abgeschnittenen Fußnägeln ‚Na, auch Hygienefreak?‘ auf den Boden schreiben.“ Oder eine Orgie simulieren. Was, genau wie der ganze Abend, ein bisschen langweilig wäre und dann doch plötzlich bizarr wie der gefakete Zehn-Minuten-Orgasmus, in dessen Verlauf Johanna Freiburg sich eine halbe Tafel selbstzerkaute Schokolade ins Gesicht schmiert und die Bildschirmnachbarn zunehmend betreten aussehen.

Zwischendurch formiert sich das Quartett zu stimmungsvollen Playback-Arrangements mit Farbfiltern, Luftgitarre und Airdrums, flimmert netter Nonsenstext als Selbstkommentar über die Screens, denkt man kurz an Überwachungskameras und daran, wie leer und einsam sich das Leben in Hotels anfühlen kann. Zwischendurch merkt man aber vor allem, wie die Zeit vergangen ist. Diese smarten Spiele ohne Drama, Regisseur und Schauspieler, deren durchaus dramatisches Material die Medien, der Alltag, die Popkultur und die Performer selbst sind, können einen nach wie vor fesseln, haben jedoch endgültig den Jungen-Wilden-Charme des Anti-Stadttheaters verloren. Man möchte, Life-Art hin oder her, sich außerdem unter der Woche nicht mehr heldinnenhaft die ganze Nacht um die Ohren schlagen (und Gob Squad wollen bis morgens um drei, vielleicht auch vier performen!). Schade eigentlich. Zur Strafe bleibt deshalb ungewiss, ob es in dieser Nacht in den Zimmern 240 bis 246 nicht doch noch zu Orgien kam.

Nächste Aufführungen: Heute und 18.-20.9., jeweils 21 Uhr, Mercure Hotel, Hermannstr. 214-216, Neukölln – Karten übers Podewil