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Archiv-Artikel

Mist schaufeln für die Stadtkinder

Mitten in einem Charlottenburger Häuserblock bietet ein kleiner Park mit Ziegen und lauschigen Plätzchen Erholung für Gestresste. Die Initiative, die das Idyll seit 20 Jahren betreut, wurde nun mit einem Ehrenamtspreis ausgezeichnet

Charlottenburgs Dorfanger verbirgt sich hinter einer unscheinbaren Toreinfahrt in der Danckelmannstraße. Dahinter erstreckt sich eine hügelige Landschaft mit kleinen Wegen, Bäumen und einem Ziegengatter. Eine Attraktion für die Kinder, die in der grünen Mitte des Häuserblocks spielen. Möglich gemacht wird sie durch ehrenamtliche Helfer der „Blockinitiative 128 e. V.“. Seit 20 Jahren pflegen sie den kleinen Park in wechselnder Besetzung.

Gestern wurde ihre Arbeit ganz offiziell prämiert: Im Rahmen eines „Tag des Ehrenamtes“ erhielt der Verein den diesjährigen Charlottenburg-Wilmersdorfer Ehrenamtspreis. Seit 1999 wird er vom Bezirksamt an Organisationen und Einzelpersonen verliehen, die sich besonders „bürgerschaftlich und gemeinwohlorientiert“ engagieren. Mit der Preisverleihung würdigen die Jurymitglieder die jahrelange harte Arbeit, die das kleine Idyll am Leben erhält.

Begonnen hatte alles in den Siebzigerjahren mit der Entkernung des Blocks 128 im Danckelmannkiez. Eigentlich wollte der Senat auf der entstandenen Freifläche zwei Neubauriegel errichten. Die Anwohner waren von den Plänen wenig angetan, zumal die neuen Wohnungen teuer sein würden. 1982 gründeten sie daher die Blockinitiative 128 und begannen, das Gelände auf alternative Art zu nutzen. „Als erste symbolische Handlung rissen sie den Bauzaun ein und gaben ihn beim Bezirksamt ab“, berichtet Klaas Ehlers, der seit zehn Jahren dabei ist. Dann pflanzten sie Bäume und Sträucher und schafften 1983 die ersten Ziegen an. Die rechtliche Lage blieb zunächst ungeklärt.

Ende der 70er fand ein Paradigmenwechsel in der Stadtplanungspolitik statt, der den Besetzern zugute kam: „Innerstädtische Freiflächen sollten erhalten werden. Und wir hatten das Glück, dass damals Leute in der Verwaltung saßen, die uns halfen“, erzählt Günther, ein Urgestein der Initiative. Bis Mitte der 90er-Jahre mussten die Ehrenamtler das Gelände sauberhalten, und sich um Pflanzen, Ziegen und Federvieh kümmern. Seit 1995 gehören nur noch die Tiere ihnen. Die Freifläche ist in den Besitz des Bezirks übergegangen, der jetzt einmal in der Woche für die Reinigung sorgt. „Nur mit ehrenamtlicher Arbeit wäre das nicht zu leisten“, sagt Klaas „Wir sind froh, dass der Bezirk das macht, auch wenn wir dafür kämpfen mussten, dass die Anlage in unserem Sinne gestaltet wird.“ Denn die Verwaltung bändigte die wilde Landschaft, die sich im Laufe der Jahre entwickelt hatte, legte Wege an und baute eine Rutsche. Einen großen Spielplatz und allzu viel Beton konnten die Blockbewohner verhindern. Und der Anger hat seinen Charme behalten: Büsche und Bäume laden zum Versteckspiel ein, die Rutsche ist an einem kleinen Hügel angelegt und es gibt viele lauschige Ecken, in die Besucher sich zurückziehen können.

Nachwuchsprobleme haben die „radikalen Ehrenamtler“, wie Klaas sie bezeichnet, nicht. Elke, die seit 1990 dabei ist und als Landschaftsplanerin die Bepflanzung gestaltet, erinnert sich, „dass immer jemand da war, obwohl es Generationenwechsel gab“. Die Mitglieder der Blockini versuchen so zu planen, dass je zwei Personen oder Familien für einen Wochentag zuständig sind. Klaas schuftet jeden Sonntag im Ziegengatter. Für ihn als Germanisten ist Mistschaufeln eine gute Ausgleichstätigkeit. „Und für die Stadtkinder ist der Kontakt zu Tieren wichtig“, findet Elke. „Hier sehen sie, wie sie geboren werden und sterben. Das sind Abläufe, die die Kids sonst nicht mitkriegen.“ Klaas fügt hinzu, dass auch Charlottenburg viele soziale Probleme hat. Viele Kinder seien verwahrlost, niemand kümmere sich um sie. Der Dorfanger sei ein Ort, wo sie sich treffen könnten, ohne gleich angemeckert zu werden: Die Anlage ist offen für alle. Probleme gibt es dennoch selten. „Manchmal muss man sich schon durchsetzen“, sagt Klaas, „aber dafür, dass hier alles offen ist und es kaum Regeln gibt, passiert erstaunlich wenig.“

Manchmal wünscht er sich für die Kinder einen Sozialarbeiter. Aber das wird wohl ein Wunschtraum bleiben. Schon um die 1.000 Euro, die die Initiative jedes Jahr vom Bezirk erhält, muss sie immer wieder kämpfen. Anfang Oktober ist es wieder so weit. „Das wird sehr schwierig“, fürchtet Elke, „letztes Jahr haben wir das Geld nur unter der Bedingung bekommen, eventuelle Spenden zurückzuzahlen.“ Die 1.000 Euro Preisgeld, die die Anger-Bewirtschafter gestern bekamen, werden sie hoffentlich behalten dürfen. Sie sollen in einen winterfesten Ziegenstall und neue Sträucher investiert werden. DINAH STRATENWERTH