Peters‘ gesammelte Winzigkeiten

Heute wollen die deutschen Hockeyspieler gegen Spanien Europameister werden. Hauptverantwortlich: Bundestrainer Bernhard Peters, der aus einer sehr guten Hockey-Mannschaft ein Ausnahmeteam machte

BARCELONA taz ■ Um 19 Uhr im Hockey-Park von Barcelona wird an diesem Samstag das Endspiel der Europameisterschaft zwischen Deutschland und Spanien angepfiffen, aber zu diesem Zeitpunkt haben die deutschen Spieler das Finale längst gespielt. Sie haben mit absurden Schiedsrichterentscheidungen gerungen, sie haben Mitte der zweiten Halbzeit ihren wichtigsten Mann durch eine Verletzung verloren, sie haben drei Minuten vor Spielende das 0:1 hinnehmen müssen. Sie haben schon seit gut zwei Jahren all diese Situationen und noch viel mehr immer wieder durchgespielt – in ihren Köpfen, in gemeinsamen Sitzungen mit ihrem Psychologen Lothar Linz. Und was in schmucklosen Tagungsräumen in ihren Köpfen entstand, ist nun auch dort draußen, auf dem Hockeyplatz, jedes Mal wieder, wenn sie spielen: das Gefühl, dass sie auf alles vorbereitet sind; dass sie mit allem, was kommt, fertig werden.

Ein gutes Gefühl. Es ist nicht viel mehr, was Bundestrainer Bernhard Peters in den drei Jahren seit seinem Amtsantritt dem Team gebracht hat: Ein paar neue Varianten bei Strafecken, eine offensivere Spielausrichtung, eine bessere Einbeziehung der Ersatzspieler; Kleinigkeiten. Der Effekt, den sie hatten, hätte nicht größer sein können. Aus einer sehr guten Elf machte Peters eine Ausnahmemannschaft. Europameister war Deutschland schon 1999 unter seinem Vorgänger Paul Lissek, damals in Padua entstand dieses Team, es sind bis auf ganz wenige noch immer dieselben Spieler. Bloß damals waren sie ein Team, das einen sehr guten Tag erwischen musste, um Europameister zu werden. Heute müssten sie einen schlechten Tag erwischen, um es nicht zu werden: Sechs Spiele, sechs Siege, zuletzt ein 5:1 gegen England im Halbfinale.

Peters‘ Winzigkeiten, die die Elf veränderten, fangen ganz oben an, im Kopf. Als der Trainer der Mannschaft den Sportpsychologen Linz als einen ihren neuen Betreuer vorstellte, fragte sich Kapitän Florian Kunz, „und wo ist die Couch?“ Noch nie, sagt Linz, sei er in eine „so aufgeschlossene Mannschaft gekommen: Die wollen was wissen, die wollen weiterkommen.“ Fasziniert registrierten sie, dass Linz ihnen nichts von rosa Wölkchen erzählen wollte, sondern ihren Kopf so trainierte wie Peters ihren Körper. „In Stresssituationen verengt sich die menschliche Wahrnehmung und Entscheidungsfindung“, sagt Linz. Er warf das Videobild eines gepressten Spieler an die Leinwand, die anderen mussten sich in ihn hineinversetzen, die Anspieloptionen durchgehen, eine Entscheidung fällen. Dann wurde das Ganze bei in Echtzeit durchgeführt, immer wieder.

Er gibt ein Wort und eine Zahl, die die Aufgeschlossenheit der Spieler für Linz und ihre Entschlossenheit erklären: Sydney 2000. Damals verlor man im entscheidenden Vorrundenspiel gegen Großbritannien 1:2 und alle Hoffnungen auf eine Medaille. „Die Nerven“, sagt Kunz. Sie wurden unter Peters vergangenes Jahr als erste deutsche Elf Weltmeister, der EM-Titel in Barcelona, der dritten für Deutschland in Folge, würden ihnen viel bedeuten, aber was sie wirklich wollen, ist diese Olympiamedaille nächste Jahr in Athen.

Heute, drei Jahre später, erscheint ihnen so viel falsch, was da unter Lissek in Sydney passierte. „Der konnte nicht schlafen, war um sechs wach und deshalb mussten wir schon um halb acht laufen, damit ihm nicht langweilig wurde. Obwohl wir dann den ganzen Tag rumhingen“, erinnert sich Torwart Clemens Arnold. „Unter Lissek war alles vorgegeben“, sagt Kunz. „Auswechslungen waren Strafaktionen“, sagt Stürmer Christoph Bechmann.

In ihren Köpfen haben sie auch schon die Siegesfeier nach dem Finale bestritten – was sie unbändig gerne- und zwar ganz ohne sensible psychologische Hilfe, so wie das sich Torwart Arnold anhört: „Dann wird das Hotel abgerissen.“ RONALD RENG