Meisterliche Hormone

Nach dem ersten Sieg im 15. Anlauf gegen die Bayern wird in Wolfsburg bereits für einen Titelgewinn geprobt

Wolfsburg taz ■ Bei anderen Vereinen müssen Meisterschaftsfeiern in etwa so aussehen. Der Stadionsprecher brüllte mit sich überschlagender Stimme etwas von einem „historischen Tag“ ins Mikrofon, die Zuschauer standen auf den Sitzen, und der Wolfsburger Kapitän Stefan Schnoor ließ sich nach dem Schlußpfiff einfach rücklings auf den Rasen fallen. Was war passiert in Ost-Niedersachsen? Der VfL Wolfsburg hatte soeben Bayern München mit 3:2 besiegt, und das ganz spät, durch zwei völlig unerwartete Tore in der 83. und 89. Minute.

Der erste Sieg im fünfzehnten Spiel gegen die Münchner in Bundesliga und DFB-Pokal ließ die Wolfsburger Fans unter den 30.000 Zuschauern in der Volkswagen Arena ihre Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den Traditionsvereinen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig vergessen, er vernichtete die Zweifel der Vorstandsherren an ihrer höchst riskanten Einkaufspolitik, er ließ VfL-Trainer Jürgen Röber zum ersten Mal richtig glücklich sein, von der Hauptstadt in die Provinz gezogen zu sein: „Heute ist ein wunderschöner Tag für den VfL“, sagte Röber. „Auch wenn der Sieg nur drei Punkte wert ist – diese drei Punkte sind besonders wertvoll.“

Natürlich lobte Röber auch sich selbst ein wenig. War er doch das Risiko eingegangen in Juan Carlos Menseguez und Fernando Baiano zwei Akteure einzusetzen, die erst seit ein paar Tagen in Wolfsburg trainieren. Beide spielten klasse. Menseguez, ein 19 Jahre alter Rechtsaußen, entstammt der Kooperation mit River Plate Buenos Aires, Baiano wurde vom brasilianischen Klub Flamengo Rio de Janeiro ausgeliehen. Weil Maric mit seinen Muskelproblemen und Topic nach der Knieverletzung aus dem Perugia-Spiel länger ausfallen, mußten die Wolfsburger handeln. Daß Baiano zum Mann des Tages wurde – ihm gelangen die Tore zum 1:0 (11.) und zum 2:2 (83.) – paßte in die Wolfsburger Feierlichkeiten an diesem Tag. Siege gegen die Bayern sind immer noch die schönsten Siege, auch dann, wenn der deutsche Meister ersatzgeschwächt ohne Ballack, Pizarro, Deisler und Jeremies antreten mußte, was Trainer Ottmar Hitzfeld später beklagte.

Den Wolfsburgern war ziemlich egal, wie unsortiert die müde Münchner Deckung am Ende war, als der Ball plötzlich zehn Meter vor dem Tor herumlag und sich Diego Fernando Klimowicz so frei fühlte, das 3:2 zu erzielen. Den anschließenden Jubel hat man so in Wolfsburg noch nicht erlebt.

Oberbürgermeister Rolf Schnellecke war völlig euphorisiert: „Das war der Durchbruch für den Verein und die Fans.“ Gemach – erst einmal sehen, wie viele in zwei Wochen gegen Leverkusen wiederkommen. Frank Heike