Tanzsucht im Glashaus

Rhythmisches Geschehen in öffentlichen Räumen: Die drei neusten Produktionen des Tanzwerks erzählen vom Ein- und Ausatmen sowie vom pulsierenden Leben auf einem Bahnhofsplatz

Während „selbstgedreht“ von weltlichen Verstrickungen erzählt, hat „Jump“ den letzten Atemzug schon hinter sich

Die jugendlichen Tänzerinnen von „Terranza“ und „Jump“ schwitzten in den Sommerferien während langer Probentage auf dem Parkett. Die reife Ernte ihrer Arbeit präsentierten sie jetzt beim „Tanz im Glashaus III“. Zum dritten Mal zeigten die Tanzwerk-Kompanien im glasüberdachten Zwischenhof des Lagerhauses ihre aktuellen Produktionen.

Lasziv windet eine junge Lady ihren Körper vorm Mikro und haucht Atem und Zigarettenrauch hinein. Umhüllt vom Dunstnebel erbebt sie in einem orgiastischen Tanz – so erotisch kann Rauchen aussehen.

Oder auch so: Sechs wurmartige Gestalten liegen wimmernd im Kreis und warten auf Vernabelung mit der erlösenden Substanz. Die Bildercollage „selbstgedreht“ zeigt verschiedene Aspekte des Rauchens, ohne dabei moralisch zu sein.

Während „selbstgedreht“ von weltlichen Verstrickungen erzählt, haben die Protagonistinnen von „Jump“ den letzten Atemzug schon hinter sich. Sie treffen sich in „Zwischen.Welten“ und werden dort von Engeln, Tod und Teufel empfangen, charmante Putzfeen beseitigen den irdischen Ballast der unerfüllten Sehnsüchte. Das jenseitige Geschehen auf der Bühne war derartig dicht, dass die an den Tücken des Videorekorders gescheiterte Integration filmischer Sequenzen keine Lücken ließ. Fetzig-rockige Einlagen, in denen selbst der Tod (à la John Travolta) aus der Rolle fiel, ließen nach dramatischen Szenen wieder aufatmen.

„Zwischen. Welten“ endete mit dem Verschwinden jeglicher persönlicher Geste und Bewegung, und genau hier griff die dritte (die erwachsene) Kompanie des Tanzwerks ein. Die Profis hatten sich erstmals eine literarische Vorlage vorgenommen, nämlich Peter Handkes Schauspiel „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“.

Deren getanzte Transformation („Die Stunde Tanzstück für einen Platz“) lebt vom pulsierenden Kommen und Gehen der Figuren: Eine Joggerin zieht an einer elegant gekleideten Geschäftsfrau vorbei, die rhythmisch Handy und Laptop traktiert, ein Träumer jagt seiner flüchtigen Liebsten hinterher. Mal einzeln, dann im Sog der Gruppe (Vorsicht Gegenverkehr): Die Inszenierung folgt der ganz normalen Dynamik etwa eines belebten Bahnhofplatzes und lief, so Choreograf Rolf Hammes, „wie von selbst“. Schon immer habe ihn das rhythmische Geschehen in öffentlichen Räumen interessiert. Offensichtlich mit Gewinn: Das Publikum ist von der Performance begeistert – zu Recht. Esther Brandau