In der Psychohölle

„Buhs“ und „Bravi“: Alfred Kirchner macht aus dem „Troubadour“ ein druckvolles Traumstück

Zwei Männer in spanischen Kinderkleidern aus dem 15. Jahrhundert rutschen auf Knien durch den grauen, von etlichen Türen umgrenzten, viereckigen Raum. Zwei wirkliche Kinder ziehen in Infantenkleidchen durch die Szene und spielen auch mal Federball. Immer wieder schauen milchige Gesichter durch die Glastüren. Ein Blinder sucht sich mit dem Stock einen Weg, ein überdimensionaler ausgestopfter Wolf erscheint zur Erzählung der Zigeunerin Acuzena. An der Wand hängt ein immer wieder brennendes Gewand.

Regisseur Alfred Kirchner situiert Giuseppe Verdis um 1400 in Aragon spielende Oper „Il Trovatore“ in der Welt des Traumes, bezogen auf die vielfach tödliche Geschichte des Albtraumes. Das erboste in der Bremer Premiere im Musicaltheater am Richtweg eine Frau derart, dass sie gewaltig und anhaltend „Buh!“ glaubte schreien zu müssen. Entsprechende „Bravi“ waren die Antwort: Was kann einer Opernaufführung besseres passieren, als dass das Publikumslager am Ende gespalten ist?

Da also alle Menschen in diesem so oft als kraus beschimpften Stück träumen, lässt Kirchner es in Pyjamas spielen – durch die vielen Betten wird weiterhin so etwas wie Psychiatrie assoziiert. Er erstellt für die acht in der Nacht spielenden Bilder keine realistischen Räume, sondern lässt die Imaginationen in einem grauen, vollkommen undefinierten Kasten sich entfalten (Bühne von Colin Walker).

Kirchners Arbeit ist im besten Sinn bedrückend. Weil sie das unlogischste aller Libretti in eine bestürzende Logik überführt, zeichnet sie sich vor allem durch eine ungemein musikalische Sängerführung aus: Denen ist aller Raum für ihren Gesang geschaffen.

Zwei überragende Leistungen sind zu nennen: Anna Maria Dur als Acuzena singt und spielt mit einer Intensität, die die Obsessionen und Sehnsüchte dieser zerstörten Frau in jeder Sekunde glaubhaft machen. George Stevens als ebenso differenzierter wie stimmstarker Luna entwirft ein großartig gebrochenes Porträt dieses sonst oft „bösen“ Mannes: Er liebt und das ist sein Leid.

Leider war Jorge Perdignon als Manrico erkrankt, so dass Ki-Chun Park an der Seite seine Rolle sang, er selbst aber spielte. Diese Doppelrolle war als Alternative zur Absage der Aufführung die bessere Lösung, zumal Park die Partie bravourös meisterte.

Generalmusikdirektor Lawrence Renes hielt sich strikt an die Partitur, indem er das sich in der Aufführungspraxis jahrelang eingeschlichene hohe C am Ende der Stretta des Manrico nicht singen ließ, weil Verdi es nicht geschrieben hat. Es war ein Beispiel für eine durchsichtige, druckvoll nach vorne gezogene Interpretation durch die Bremer Philharmoniker, die außerdem beindruckte durch die Menge der irrealen Klangfarben, die so sehr zu dem Konzept Kirchners passten und das utopische Potenzial der scheiternden Menschen geradezu meißelten.

Ute Schalz-Laurenze

Nächste Termine: Dienstag, Donnerstag und Sonntag (19.30 Uhr)