Hertha startet Abstiegskampf

Nach den Nullnummern wechselt Hertha BSC die Strategie: Erst Tore schießen, dann trotzdem verlieren. Hannover 96 führte die Blau-Weißen beim 2:3 im Olympiastadion vor – Stevens’ Mannen präsentierten sich als hilflose Opfer ihrer Grobmotorik

von MARKUS VÖLKER

Nach Spielende muss Alexander Madlung eine bittere Erkenntnis überfallen haben. Er lag ein paar Augenblicke zu lang auf dem Rasen, die Hände vors Gesicht pressend, während seine Mannschaftskollegen eine moderate Trauerarbeit an den Tag legten. Sie beließen es bei gesenkten Köpfen und schuldbewussten Blicken. Vielleicht hat Madlung die Gewissheit zu Boden gerissen, dass Hertha BSC Berlin in dieser Saison nicht oben mithalten kann; dass das Team, vor allem ohne den brasilianischen Spielmacher Marcelinho, zutiefst durchschnittlich, bräsig, hausbacken, uninspiriert und durschschaubar agiert; und dass, wie später Fredi Bobic äußerte, der Abstiegskampf spätestens jetzt begonnen hat – nach dem Spiel gegen Hannover 96, das mit 2:3 verloren ging, obwohl Hertha BSC bereits nach 21 Minuten durch zwei Bobic-Tore 2:0 in Führung lag.

Es war kein Thema mehr, dass Herthas Nullnummer, die der selbst erklärte Anwärter auf die Champions League über drei Bundesligaspiele aufführte, ein abruptes Ende gefunden hatte, davon sprach wahrlich niemand mehr. Zur Diskussion standen 90 Minuten, die nicht krasser hätten offenbaren können, wer Herr auf dem Platz war: nicht die Heimmannschaft.

Hannover 96 überzeugte mit einem durchdachten Spielsystem. Die Schüler von Fußballlehrer Ralf Rangnick zeigten am Samstag vor 37.000 Zuschauern im Olympiastadion alles, was modernen Fußball ausmacht. Sie rückten flink aus der Abwehr auf. Passten klug und zielsicher im Mittelfeld, suchten im Angriff ihre Sturmspitzen mit schön gezirkelten Flanken. Sondierten vorm Tor geschickt ihre Chance und passten, wenn sich die Möglichkeit ergab, zum besser postierten Mann ab.

Herthas Spielanlage wirkte gegen den hochtechnisierten Fußball aus Niedersachsen wie eine lecke Dampfmaschine aus vorindustrieller Zeit, die Hertha-Spieler gegen die Interpreten der Fußballmoderne wie grobe Klötze, hilflose Opfer ihrer Grobmotorik. Nur bei der Abseitsfalle müssen die Hannoveraner noch etwas nachbessern, ihr recht riskanter Trick, die gegnerischen Stürmer ins Abseits zu stellen, schlug zweimal fehl. So gingen die Hertha-Tore nicht mal wirklich auf die Kappe der Blau-Weißen – was zum Spiel passte.

Trainer Huub Stevens berichtete dann in den gewohnt knappen Sätzen vom Match, er brachte allerdings nur Plattitüden unter die Berichterstatter. Die Leidenschaft habe gefehlt, ja mei – aber daran hat’s sicher nicht gelegen. Kein Feuer sei da gewesen – trifft wohl auch nicht den Kern. Seine Spieler hätten im Mittelfeld die Zweikämpfe nicht angenommen – das mag ja sein.

Aber wie sollten sie, wenn Hannover die Bemühungen der Blau-Weißen mit geflegtem Kurzpassspiel torpedierte und der Ball längst schon weg war, wenn ein Herthaner zum Grätschen ansetzte? „Hannover hat uns nicht kämpferisch, sondern spielerisch geschlagen“, sagte Niko Kovac. Nicht alle Herthaner schlossen sich dieser Meinung an. Je später der Abend wurde, desto häufiger hörte man, dass es nicht am mangelnden Spielvermögen, sondern an der Einstellung gelegen habe. Also nach dem Motto: Wenn wir wöllten, hätten wir schon können: eine nette Schummelei, um den Tatsachen nicht ins Auge blicken zu müssen: wie limitiert Hertha BSC in Sachen Dominanz, Ästhetik und Übersicht ist.

Es kam dann auch nicht von ungefähr, dass die Rede auf Bayer Leverkusen kam – das der Vorsaison, versteht sich. Manager Dieter Hoeneß parierte eine Frage nach der Duplizität der Ereignisse: „Mit der Einstellung von heute passiert’s.“ Und Fredi Bobic ergänzte: „Leverkusen hat 34 Spieltage gebraucht, um da rauszukommen.“ Bobic, zuvor bei Hannover 96 aktiv, hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass sein neuer Verein Hertha 04 Leverkusen heißt.