Hartz IV: Im Osten der Renner

Insgesamt 90.000 Menschen protestieren auf Montagsdemos gegen Arbeitsmarktreform. Besonders starker Zulauf in den neuen Bundesländern. Regierung sucht nach Erklärungen

BERLIN taz ■ Die regional unterschiedlich große Beteiligung an den Montagsdemonstrationen gegen die Reformpolitik der Bundesregierung hat eine neue Ost-West-Diskussion ausgelöst. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) führte die höhere Teilnehmerzahl in den neuen Bundesländern auf „ein Grundgefühl der Zweitklassigkeit“ zurück. Dieses resultiere nicht nur aus der höheren Arbeitslosigkeit. Westdeutsche Medien wie der Spiegel hätten den Eindruck erweckt, den Ostdeutschen sei trotz Aufbauhilfen ein Aufschwung nicht gelungen. „Das hat ganz tief hier gesessen“, sagte Platzeck im Deutschlandfunk. Grünen-Fraktionsvize Christian Ströbele sagte der taz: „Bei den Protesten im Osten geht es nicht nur darum, dass Hartz IV gekippt wird. Die meisten Demonstranten dort sehen das im Zusammenhang mit ihrer Benachteiligung und Chancenlosigkeit im Osten.“

Der stellvertretende SPD-Fraktionschef im Bundestag, Michael Müller, bezeichnete Platzecks Äußerungen als „ein Zeichen für mangelndes Selbstbewusstsein“. Platzecks Stimmungsbeschreibung sei „wohl zutreffend“, sagte Müller gestern der taz. Hinter den organisierten Protesten im Osten stecke aber „eine Larmoyanz, die mir auf den Geist geht“. Statt über neue Chancen werde nur über angebliche Benachteiligungen geredet. „Das haben die Leute in den neuen Ländern gar nicht nötig.“ Dass sich der Protest gerade an Hartz IV entzündet habe, ist für Müller „eigentlich unbegreiflich“. Nach den Berechnungen, die ihm vorlägen, werde es 80 Prozent der Betroffenen in den neuen Ländern besser als vorher gehen.

Die SPD-Spitze lehnte weitere Änderungen bei Hartz IV gestern ebenso ab wie eine Rücknahme der bereits beschlossenen Steuersenkung für Spitzenverdiener. Der Bundeskanzler hat für heute eine Pressekonferenz in Berlin angekündigt. LKW

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