Das Glück gewinnt an Höhe

Ein skurriler Bremer Doppelkopfpass ins eigene Tor unterbricht für einen Moment Dortmunds fortgesetztes Unglücksrabendasein und beschert problembeladenen Borussen ein unverdientes 2:1

aus DortmundULRICH HESSE-LICHTENBERGER

Bis Samstag 16.54 Uhr war es eine normale Woche für Borussia Dortmund, also eine unglückliche. Sie hatte damit begonnen, dass wegen der Länderspiele viele Profis abwesend waren und der Klub dem Personal deshalb nicht noch einmal erklären konnte, warum zwei verschossene Elfmeter gegen Brügge ausreichen, um mühsam ausgehandelte Verträge kurzerhand zu ändern.

Das wiederum führte dazu, dass die Fragen der Lokalpresse nach dem Stand der Dinge bezüglich des erzwungenermaßen freiwilligen Gehaltsverzichts der Spieler von der Vereinsführung nur vertröstend beantwortet werden konnten. Am Mittwoch trampelten dann deutsche und schottische Hauruck-Fußballer über den Rasen des Westfalenstadions und hinterließen dort Krater, die dem BVB drei Tage später fast zum Verhängnis geworden wären. Am Donnerstag schließlich rissen wieder Bänder, diesmal im Knie des Stürmerstars Marcio Amoroso, was zwei Monate unfreiwilligen Spielverzichts nach sich ziehen wird.

Allerdings: Mitleid ist unangebracht. Zu viele Probleme des Klubs sind hausgemacht, und auch dafür bot die Woche ein Beispiel. Als nämlich die neueste Ausgabe des beliebten Panini-Sammelalbums erschien, blinzelten viele Kinder vor Verblüffung. Auf dem Umschlag des Albums prangen die Wappen von 17 Bundesligavereinen – und ein schwarz-gelber Fußball. Im Innern sucht man das Logo des BVB ebenso vergeblich wie ein Foto des Stadions, und die Spieler sind in T-Shirts, nicht in Klubtrikots abgebildet. Der westfälische Volksverein wird seine Gründe für diesen Boykott haben, aber er dient nicht gerade dazu, die im Moment unglückliche Außendarstellung zu verbessern.

Auch das Heimspiel gegen Werder Bremen passte dann lange Zeit ins Bild. Zwar gingen die Gastgeber durch Ewerthon (17.) in Führung, aber vier Minuten vor der Pause war es ausgerechnet der beste Akteur auf dem Platz, Dortmunds Verteidiger Christian Wörns, der einen Schuss von Krisztian Lisztes ins eigene Netz abfälschte. Auch dies: unglücklich. Aber erneut kein Anlass, die Dortmunder zu bedauern, denn der Spielstand von 1:1 hätte ein angemessenes Endergebnis bedeutet, da die Bremer keine Probleme hatten, der Borussia einen gleichwertigen Gegner abzugeben.

Vor vielen Jahren führte der Aphoristiker Max Merkel den Begriff „Cullmann-Pass“ ein und meinte damit jenen „Fünf-Meter-Sicherheitspass“, mit dem es der Kölner Bernd Cullmann einst bis in die Nationalelf schaffte. Auch gegen Bremen bestand der Dortmunder Spielaufbau wieder aus zu vielen Cullmann-Pässen, was beim BVB aber weniger am Sicherheitsdenken liegt, sondern an unkoordinierter Laufarbeit, die dem Ballführenden keine Optionen lässt. Wenn dann noch Jan Koller, wie gegen Werder, einen schlechten Tag hat und kaum eines jener halbhohen, spekulativen Zuspiele („Ramelow-Pass“) unter Kontrolle bringt, dann kann der BVB nur mit Glück gewinnen. Selbiges hatte der Klub aber schon lange nicht mehr, und um 16.54 Uhr kam am Samstag zunächst auch noch Pech hinzu: Einen Querpass von Tomas Rosicky setzte Ewerthon aus zehn Metern an die Latte des Werder-Tores, weil der Ball zuvor diverse deutsch-schottische Schlaglöcher touchiert hatte.

Und dann wurde plötzlich alles anders. Bremens Frank Baumann wollte den Abpraller aus der Gefahrenzone köpfen, traf aber nur seinen Kollegen Valerien Ismael, von dessen Stirn das Leder ins Netz tropfte. „Wir haben das Ding hier selbst verbockt“, stöhnte der geschlagene Keeper Andreas Reinke später über das skurrile Eigentor, und in der Tat entschied diese 69. Minute die Partie. Das Glück verließ die Borussen nun nicht mehr und verhinderte den Bremer Ausgleich in der Schlussphase gleich mehrfach. Dortmunds Sebastian Kehl wertete den Sieg anschließend als Beginn der Trendwende: „Wir hatten sicher Glück, aber wir sind einen Schritt weitergekommen und können darauf aufbauen.“ Doch wie schon Max Merkel (oder war es Robert Frost?) schrieb: „Das Glück gleicht durch Höhe aus, was ihm an Länge fehlt.“ Noch am Abend gab der BVB bekannt, dass Juan Ramón Fernández der nächste Verletzte ist: Bänderdehnung, drei Wochen Pause.

Borussia Dortmund: Weidenfeller - Wörns, Reuter, Bergdölmo - Fernández (46. Reina), Addo, Kehl, Dede - Rosicky - Koller, EwerthonWerder Bremen: Reinke - Davala, Ismael, Krstajic, Stalteri - Lisztes (76. Banovic), Baumann, Borowski, Ernst - Ailton, CharisteasZuschauer: 80.500; Tore: 1:0 Ewerthon (17.), 1:1 Lisztes (41.), 2:1 Ismael (69./Eigentor)