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Archiv-Artikel

Aufrichtige Heiserkeit: Greg Dulli und „The Twilight Singers“ im Molotow Hungrig nach der dunklen Seite

Was hat man Greg Dulli nicht schon Böses nachgesagt. Selbstverliebt und eitel sei er, ein überhebliches Machoschwein, das sich für Gottes Geschenk an die Frauen dieser Welt halte. Mit Fat Greg Dulli existiert sogar ein eigenes Hass-Fanzine des Ex-Afghan-Whigs-Frontmanns. Wer es schafft, die dröge Rockgemeinde dermaßen gegen sich aufzubringen, muss einiges richtig gemacht haben in seinem Musikerleben.

Und tatsächlich haben die Afghan Whigs während der 90er eine der erstaunlichsten Metamorphosen überhaupt in der amerikanischen Rockszene vollzogen, die trotz aller vorgeschobener Punkattitüde ja ziemlich überraschungsarm ist. Nach ihrem Debüt auf dem legendären SubPop-Label noch als junge Grungehoffnung gefeiert, tauschten die Mannen um Dulli schon bald die Holzfällerhemden gegen feinsten Anzugzwirn und inszenierten auf den Alben Gentlemen und Black Love gitarrenverstärkte Breitwanddramen, die eher den Geist von Dullis Soulhelden Marvin Gaye und Isaac Hayes als von Kurt Cobain atmeten.

Neben den opulenten Kompositionen und ausgetüftelten Melodiebögen kündigte besonders die dissonante Kopfstimme Dullis von der unwahrscheinlichen Vermählung aus Rock und dem Autorensoul. Mit aufrichtiger Heiserkeit wühlte er sich durch seine Obsessionen und kultivierte dabei irgendwo zwischen Können und Anmaßung eine ergreifend schräge Tonlage, die man in Verbindung mit gepflegtem Gitarrenlärm so noch nicht gehört hatte.

15 Jahre spielten die Afghan Whigs zusammen. Nach der Trennung 2001 konzentriert Dulli sich vor allem auf sein ehemaliges Nebenprojekt The Twillight Singers, mit dem er zum Zeitpunkt des Splits bereits eine äußerst ruhige und atmosphärische Platte veröffentlicht hatte. Inzwischen hatte der ehemalige Filmstudent als Besitzer einer Bar in Los Angeles wohl Gelegenheit genug, neue Feldstudien zu den Untiefen männlicher Amüsierlust anzustellen. Denn auf Blackberry Belle, dem zweiten Twilight Singers-Album, zeigt Dulli sich endlich wieder „hungry for the dark side“ und schlüpft erneut in seine Lieblingsrolle des übernächtigten Dandys, der immer einen Samtsack voller Selbstzweifel dabei hat. Und der Anzug passt ihm immer noch perfekt.

Allerdings hört man der Platte an, dass die Twilight Singers keine Band mit fester Besetzung, sondern eher ein loses Kollektiv von Musikern sind, die Dulli zur Vertonung seiner Nachtschattengewächse von Songs zusammengetrommelt hat. Reduzierte Countrynummern im Walzertakt werden von üppig instrumentiertem Bombast-Pop abgelöst. Eben noch pluckert das Schlagzeug wie eine liebeskranke Drummachine über verstreute Keyboardloops und Streicherfetzen, um dann doch wieder dass fette hymnische Rockbrett loszutreten. Zusammengehalten wird das alles von Dullis Gesang, der wie zu besten Afghan Whigs-Zeiten mit rissiger Stimme mal tieftraurig mal entrückt-jubilierend die Dramen der Nacht heraufbeschwört.

Am Sonntag wird er im Molotow wieder mit düsterer Miene Zigarettenrauch ins Publikum blasen und neben alten Whigs-Klassikern auch Songs vom nagelneuen Coveralbum She loves You auftischen, das offiziell erst am Tag nach dem Konzert erscheint. Michael Unterberg

Sonntag, 21 Uhr, Molotow