Große „asoziale“ Koalition

betr.: „Schröders ‚Volksfront‘-Attacke und der Opportunismus der CDU. Der Hase erlegt den Jäger“, Kommentar von Christian Semler, taz vom 17. 8. 04

Gemäß Sozialgesetzbuch II, § 20 soll mit dem Arbeitslosengeld II der „Lebensunterhalt gesichert“ sein. Zynisch wird angeführt, dass 345 Euro bzw. 310 Euro für „Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarf des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilhabe am kulturellen Leben“ zu verwenden sind, und zwar wirtschaftlich, sonst drohen Kürzung oder gar Entzug. Bewusst wurde in dem 66 §§ umfassenden Gesetz verschwiegen, dass davon vor allem im erheblichen Umfang die stetig steigenden Kosten für Strom, Wasser, medizinische Versorgung, öffentlichen Nahverkehr, Versicherung und Gebühren wie Telefon, Fernsehen, zwangsweise Kontoführung und Müll bestritten werden müssen. Was dann übrig bleibt, wenn überhaupt, darf für ein menschenwürdiges Dasein verwendet werden.

[…] Just zu dem Zeitpunkt, Februar 2005, an dem tausende Baden-Württemberger und Millionen deutsche BürgerInnen in Not und Armut gestürzt werden, ihnen nämlich erstmals Arbeitslosengeld II „geleistet“ wird, erhöhen sich SPD-, Grünen, CDU- und FDP-Landtagsabgeordnete ihre Diäten und Pauschalen. Gleichzeitig werden sie über die „Angemessenheit“ von Unterkunft (nicht Wohnraum) und Leistungen für erwerbslose WählerInnen entscheiden.

Große Teile der erwerbslosen Menschen sind sich in zunehmendem Maße bewusst, dass Entlassungen und Arbeitslosigkeit für steigende Profite in den Unternehmen sorgen, die verbliebenen ArbeitnehmerInnen in Deutschland ihren Arbeitsplatz noch behalten dürfen und letztlich ihre Arbeitslosigkeit dazu dienen, den Rest der Arbeitnehmerschaft für Lohndumping und Vernichtung ihrer Sozialsysteme gefügig zu machen. Die Unterschlagung der Alg-II-Auszahlungen im Januar 2005 wurde nur auf Druck der Öffentlichkeit zurückgenommen. Politik und Wirtschaft haben Erwerbslosen und sozial schwachen Menschen Respekt und Würde zu zollen!

Gerade jetzt, wo die große „asoziale“ Koalition aus Parteien und Wirtschaft Angst und Sorge unter der Bevölkerung verbreitet, ist Zivilcourage und Ungehorsam dringender denn je erforderlich, um eben der Vernichtung der sozialen Errungenschaften in unserem Land Einhalt zu gebieten und für die kommenden Generationen zu erhalten. Wenn Clement am 6. August meinte, dass das nun montags wieder aufbegehrende Volk „geradezu eine Beleidigung der historischen Montagsdemonstrationen und auch der Zivilcourage, die viele Ostdeutsche damals gezeigt haben“ sei, so unterliegt er einem Irrtum über den Kausalverlauf. Er und seine Regierungsmitglieder einschließlich CDU und FDP haben mit Hartz IV, dem Sozialgesetzbuch II, den würdelosen Antragsformularen zum Alg II und ihrem öffentlichen Verhalten fast sieben Millionen in unserem Land belogen, beleidigt und denunziert. Es ist das gute Recht von Millionen, das verfassungsmäßig verbriefte Recht durch Protest und Widerstand gegen eine asoziale Politik in Deutschland zum Ausdruck zu bringen, wann und wie diese betroffenen Menschen es für angebracht halten!

BLANKA SDANNOWITZ, Oberkochen

betr.: „Spar-Truppe beschenkte Fugmann-Heesing“, „Teure Sparmaßnamen bei der Truppe“, taz vom 17. 8. 04

Sonst noch was? Hört das denn nie auf, dass an unfähige PolitikerInnen irrwitzige Abfindungen gezahlt werden, und das, wie hier, nach nur eineinhalb Jahren Stümperei?

Wie kommen diese Leute dazu, sich gegenseitig unsere Steuermillionen zuzuschieben, und unsereins wird, wenn überhaupt, nach jahrzehntelanger Betriebszugehörigkeit mit einer Sparabfindung von weitaus weniger als einem Zehntel der genannten Summe in Richtung Hartz IV „abgewickelt“? Bei solchen Leistungsanreizen sollte man sich nicht wundern, wenn die deutschen Arbeitnehmer irgendwann einfach nicht mehr wollen, die Folge ist Dienst nach Vorschrift, Einsatz gegen null. YVES HEINRICHS, Freiburg

betr.: „Reichen droht trocken Brot“, taz vom 16. 8. 04

Nachdem die Schröder-Regierung sechs Jahre lang für Arbeitslose außer falschen Versprechungen nur Tritte übrig gehabt hat, sollen jetzt auch die Reichen ein Opfer bringen. Wie sieht dieses „Opfer“ aus? Nachdem der Spitzensteuersatz ohnehin schon von 49 auf 45 Prozent gesenkt worden ist, soll die geplante weitere Senkung auf 42 Prozent ausgesetzt werden. Und selbst das erscheint Herrn Schröder unzumutbar. Denn, so seine Theorie: durch die erneute Senkung des Spitzensteuersatzes – die einem Einkommensmillionär ungefähr so viel Steuern spart, wie ein Normalverdiener im Jahr an Bruttoeinkommen erzielt – können die Reichen sich endlich einmal satt essen, die zerlumpte Kleidung ihrer Kinder erneuern und auf diese und andere Weise den ersehnten Konjunkturaufschwung herbeiführen. Würde das Geld hingegen verwendet, um Jobs für Arbeitslose zu schaffen, so würden die den unverhofften Reichtum bloß im schwarzen Köfferchen nach Luxemburg tragen.

Der Clique um Schröder, Fischer und Ackermann geht es so wie einst Honecker, Krenz und Schalck-Golodkowski: sie haben den Kontakt zur Wirklichkeit verloren. GERHARD PAULI, Düsseldorf

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