„Auch Rechte gehen mit der Zeit“, sagt Henning Flad

Die Neonazi-Szene differenziert sich aus – Erfolgserlebnisse wie die Duldung auf Demos darf man ihr nicht gestatten

taz: Herr Flad, könnten Neonazis bald die Montagsdemos okkupieren?

Vereinzelte Versuche gab es. Momentan sehe ich aber nicht, dass die Montagsdemos von rechts gesteuert werden.

Viele Neonazis treten nicht mehr klassisch in Bomberjacken und Springerstiefeln auf. Sind die Rechten überhaupt noch zu erkennen?

Durchaus. Zwar gibt es diesen Typus von Neonazis mit kariertem Hemd und gestylter Frisur. Aber sie bilden nicht die Mehrheit in der rechten Szene. Wie NPD-Aufmärsche zeigen, dominiert weiter der Skinhead-Stil.

Aber der geschniegelte „Schwiegersohn-Nazi“ könnte Trends setzen.

Ob wirklich die ganze rechte Szene diesem Typus nacheifern wird, ist abzuwarten. Sie weiß, dass sie vor allem dem Nachwuchs „Action“ bieten muss. Das verträgt sich wenig mit unauffälligen Klamotten. Action-Style heißt: rabiat und kämpferisch.

Auch bei Hartz-Demos?

Einige strategisch denkende Gruppen sagen ihren Mitgliedern: Bei Montagsdemos bitte nicht als wilde Skins auftauchen.

Sind nicht genau diese strategisch denkenden Neonazis die Gefahr?

Herunterspielen will ich das Problem nicht. Vor zehn Jahren hatte der Rechte nur zwei Lebensstile zur Auswahl. Entweder ganz traditionell mit Scheitelfrisur und HJ-Binde oder die rabiate Skinhead-Variante. Heute ist das Angebot größer und die Szene damit attraktiver geworden.

Und damit haben sie sich anderen Jugendkulturen geöffnet. Eine geschickte Strategie.

Das stimmt. Heute sind auch Rechte in der Gothic- oder Black-Metal-Szene unterwegs. Um aber zu verstehen, warum es in der rechten Szene auch andere Stile gibt, muss man weniger nach Strategien suchen. So wie in allen Jugendkulturen gibt es auch in der rechten Szene eine Eigendynamik. Auch Rechte gehen mit der Zeit.

Was ist mit Neonazis, die das linke Outfit kopieren?

Da ist Provokation das Hauptziel. Als etwa der Berliner Neonazi René Bethage zum ersten Mal mit einem Che-Guevara-T-Shirt bei einem NPD-Aufmarsch erschien, wusste er, dass ein Foto von ihm in der Zeitung erscheinen wird.

Ging es ihm wirklich nur um Medienpräsenz, oder gibt es verwandtes Gedankengut?

Ein Teil der rechten Szene versucht, an nationalsozialistische Traditionen anzuknüpfen, mit Betonung auf „sozialistisch“. Doch mehr als das vage Stichwort Strasser, der ein Vertreter des vermeintlich sozialistischen Flügels der NSDAP war, können sie nicht nennen. Sie verstehen oft ihre eigene Ideologie nicht.

Che und Palästinensertücher sind innerhalb der Rechten nur ein Randphänomen?

Übers Outfit wird mehr diskutiert als über Inhalte. Vor allem die ältere Generation mag es überhaupt nicht, wenn ein neuer Stil auftaucht. Die haben noch immer die Assoziation: Lange Haare bedeutet drogenabhängig und links. Es gibt Berichte von Rechten der Gothic-Szene, die von rechten Skinheads nachts durch die Stadt gejagt wurden.

Die Ausdifferenzierung der Rechten hat positive Aspekte?

Auch. Der Preis dafür ist eine gewisse Entpolitisierung.

Könnten solche Jugendliche auch in der linken Szene landen, wenn bloß die Musik cool genug ist?

Das bezweifele ich. Man kann bei potenziell rechten Jugendlichen eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur erkennen. Leute, die eher antiautoritär aufgewachsen sind, fühlen sich nur selten von Neonazis angezogen.

Was können Jugendkulturen machen, damit sie nicht rechts unterwandert werden?

Vor allem muss die Auseinandersetzung innerhalb der Szene geführt werden. Jugendkulturen mögen es überhaupt nicht, wenn von außen jemand kommt und Vorschriften macht. Zum Beispiel gibt es in der Gothic-Szene eine Reihe von Kräften, die sich gegen die Rechten wehren.

Linke Skinheads sind mit diesem Versuch gescheitert …

Der Lebensstil der Skinheads ist grundsätzlich anfälliger für rechte Interpretationen. Er geht von einem rechten Männerbild aus, ist Gewalt bejahend und antiintellektuell.

Wie sollen die Veranstalter von Anti-Hartz-Protesten mit Rechten umgehen?

Die wichtigste Methode zur Bekämpfung von Rechten ist ihre soziale Ächtung. Das wissen Neonazis und versuchen deshalb, diese bei den Anti-Hartz-Protesten aufzubrechen. Sie sollten deshalb bei solchen Demos resolut ausgeschlossen werden.

Wie sexy sind Hartz-IV-Demos für Neonazis überhaupt?

Der Durchschnittsnazi geht nach wie vor lieber auf den Rudolf-Hess-Gedenkmarsch. Es sind aber viele Rechte von Hartz IV betroffen. Ihre Sozialstruktur ist nicht gerade bildungsbürgerlich oder akademisch geprägt.

Wenn sie gar nicht zu erkennen sind – ist es dann nicht egal, ob sie mitlaufen?

Allein mit ihrer Anwesenheit beeinflussen sie das Klima. Vor allem sollte man sie nicht am Erfolgserlebnis teilhaben lassen. Man sollte ihnen nicht das Gefühl gönnen, Teil einer großen Bewegung zu sein.

INTERVIEW: FELIX LEE