Analyse: Wahlverlierer SPD
: Später Paradigmenwechsel

Peer Steinbrück kämpft. Nach missglückten Äußerungen über mögliche Tätigkeiten nach einer verlorenen Landtagswahl in der Talkshow „Maischberger“ will der Ministerpräsident nicht den leisesten Anschein von Politikmüdigkeit aufkommen lassen. Angriffslustig aus den Ferien zurück wollte der Sozialdemokrat gestern in Düsseldorf der Landespressekonferenz seine Sicht der Dinge diktieren: Der Aufschwung hat NRW erreicht, Hartz wird den Arbeitsmarkt beleben, über dessen „mangelnde Elastizität“ Steinbrück lamentiert. Entspannung sieht er trotz 22.000 fehlender Lehrstellen auch auf dem Ausbildungsmarkt. Und CDU-Oppositionsführer Jürgen Rüttgers ist ein „Fähnchen im Wind“, sich auf Irrelevantes wie die Rechtschreibreform konzentriert oder wie bei Hartz einfach umfällt. Steinbrücks Weltsicht: einfach und klar.

Doch das Top-Thema setzt nicht der Ministerpräsident, die Nachfragen konzentrieren sich auf Hartz. Der Ex-Finanzminister wird konkret – und argumentiert doch rein fiskalisch: Warum, wiederholt er die Stanzen, die auch Bundeskanzler Gerhard Schröder am Mittwoch in Berlin bemühte, sollen Geringverdiener hohe Freibeträge für ehemals Bessergestellte über das steuerfinanzierte Arbeitslosengeld II mitfinanzieren? „Das muss mir einer erklären“ – Steinbrück gibt den Anwalt der kleinen Leute.

Doch plötzlich wird der Regierungschef zum Generalisten, redet über den notwendigen „Mentalitätswechsel“, die zu ändernden „Einstellungen“: Erwartet werde auch in Westdeutschland ein „fürsorgender Staat“ – dabei stelle sich doch gerade heraus, „dass sich der Wohlfahrtsstaat überdehnt hat“. Und das Schlimmste daran: Sein „eigener politischer Verein“ habe viel zur Schaffung der beklagten Versorgungsmentalität beigetragen.

Warum Hartz sein muss? Plötzlich fällt Steinbrück nicht mehr viel ein: Die Staatsverschuldung sei zu hoch, und „die Alimentation in der Arbeitslosigkeit nicht das Gelbe vom Ei“. Mehr kommt nicht: Zum Förderaspekt will der Ministerpräsident „keine Zahlen nennen“ – und redet doch von den „75.000 arbeitslosen Ingenieuren“, die für ein bis zwei Euro zusätzlich zur staatlichen Unterstützung in Berufsschulen unterrichten könnten. Alles werde schlechtgeredet, klagt er, dabei sei „nicht alles perspektivlos“: Steinbrück schließt die Augen, verkrampft die Arme, ballt die Hände zu Fäusten – und sieht aus wie ein Junge, dessen Wünsche noch immer nicht erfüllt werden.

Nur: Wie er den plötzlichen Paradigmenwechsel der SPD erklären will, sagt Steinbrück nicht. Er hat bereits die Presse gelobt: Die stelle die Notwendigkeit von Hartz „zum Teil pointierter dar als die Politik“. ANDREAS WYPUTTA