Kurswechsel: Guerilleros gegen Geiseln

Zum ersten Mal schlägt Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe der Farc-Guerilla einen Gefangenenaustausch vor

PORTO ALEGRE taz ■ Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe hat der Farc-Guerilla erstmals einen Gefangenenaustausch angeboten. 50 wegen „Rebellion“ angeklagte oder bereits verurteilte Guerilleros könnten demnach aus der Haft entlassen werden, heißt es in dem Kommuniqué, das der Friedensbeauftragte der Regierung, Luis Carlos Restrepo, vorgestern bekannt gab. Im Gegenzug sollten die Aufständischen Politiker, Soldaten, Polizisten sowie drei US-Amerikaner freilassen, die sich teilweise seit Jahren in ihrer Gewalt befinden.

Das Angebot sei den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“ (Farc) bereits am 23. Juli durch Schweizer Vermittler unterbreitet worden, sagte Restrepo. Die 50 Rebellen könnten sich entscheiden, ob sie ins Ausland reisen oder sich in Kolumbien dem staatlichen Wiedereingliederungsprogramm anschließen wollten. Frankreich, Schweiz, die katholische Kirche und das Rote Kreuz würden den Austausch logistisch unterstützen, sagte Restrepo. Die Farc drängte er zu einer raschen Antwort. Die Regierung sei bereit, einen Austausch „unverzüglich“ in Gang zu setzen.

Zuvor hatte Uribe eine Schwester des entführten Abgeordneten Hernán Giraldo empfangen. „Wir hoffen, dass jetzt die Gespräche in Gang kommen“, sagte Ángela María Giraldo. Der frühere Präsident Alfonso López Michelsen bezeichnete das Angebot als „sehr wichtigen Beitrag, um die Gemüter zu besänftigen“.

Skeptischer zeigte sich Ángela de Pérez, die Frau des früheren Senators Luis Eladio Pérez, der vor drei Jahren entführt wurde: „Leider ist das kein Schritt vorwärts.“ Bisher hätten die Farc die Alternative „Ausland oder Wiedereingliederung“ immer abgelehnt.

Auch Carlos Lozano, Direktor der kommunistischen Wochenzeitung Voz, der unter Uribes Vorgänger Andrés Pastrana an den Friedensgesprächen mit den Farc beteiligt war, warnte vor übertriebenen Hoffnungen. „Jeder Vorschlag ist zu begrüßen“, sagte Lozano. „Aber es überrascht mich, dass er zu einem Zeitpunkt kommt, in dem es zum ersten Mal seit langem Umfrageergebnisse für den humanitären Austausch gibt.“

75 Prozent der KolumbianerInnen befürworten demnach einen Gefangenenaustausch, und 70 Prozent halten diese Frage für wichtiger als die der Wiederwahl Uribes 2006. Für dieses umstrittene Projekt, das Uribe vorantreibt, müsste zunächst die Verfassung geändert werden.

Am Montag hatte Farc-Kommandant Raúl Reyes im Rundfunk gesagt, das Leben der Geiseln sei wegen der Armee-Offensive im Süden des Landes „in höchster Gefahr“. Die humanitären Kontakte zu Vermittlern der katholischen Kirche seien derzeit „praktisch abgebrochen“. Nach Regierungsangaben befinden sich rund 1.600 Geiseln in der Gewalt der Farc. Unter den 20 entführten Politikern ist die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt.

GERHARD DILGER

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