Penetranter Geruch von Heuchelei

betr.: Günter Wallraff

Günter Wallraff kenne ich seit 35 Jahren, seinen grenzüberschreitenden Widerwillen gegen „die da oben“ ebenso wie sein Engagement für die von den Oberen Geschädigten. Ich habe seine Arbeit aus nächster Nähe erlebt, stets freundschaftlich, nie unkritisch. An seinen Aussagen über die Art seiner DDR-Kontakte habe ich keinen Zweifel. Im Blick auf diejenigen, die den altrömischen Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ gegen Wallraff beharrlich in sein Gegenteil verkehren, kann ich nur mit Goethe resümieren: „Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode.“ Wahrheit macht frei, aber Widerspruch ist angesagt gegen die inquisitorischen und voyeuristischen, sich über Jahrhunderte gleichenden Hexenjäger, die schon das nächste Opfer im Visier haben.

KLAUS SCHMIDT, Theologe und Historiker, Köln

betr.: „Stasi-Akten bitte nicht glauben“, taz vom 9. 9. 03

Der Enthüllungsjournalist schlechthin, eine der letzten Ikonen der Linken, soll mal wieder demontiert werden. Kollegen mit Sponsorenbutton am geistigen Revers fordern schonungslose Aufklärung. Penetranter Geruch von Heuchelei. […] Schlagzeilen, Schlagworte gegen Wallraff, aber nicht gegen ihn allein. Es geht auch gegen die linke Bewegung. Es lohnt sich. Die Linke liegt fast am Boden. Politisch hat man schon abgedankt. Ohne Einfluss bei Entscheidungen, eine Randexistenz zwischen Abnicken und bedeutungslosem Außenseitertum. Wenn nun noch einer der letzten engagierten Kämpfer dieser politischen Richtung zu Fall gebracht würde, gäbe es ein genussvolles Zungeschnalzen im konservativen Lager. Davon will man zwar bei der Springer-Presse angeblich nichts wissen, aber man weiß doch, wie das Geschäft läuft.

[…] Nichts ist leichter, als einem engagierten Linken Kontakte zum damaligen DDR-System nachzuweisen. Schließlich kämpfte Wallraff gegen Missstände in der damaligen Bundesrepublik und wurde so automatisch interessant für Stasi und Co. Sicher wurde er „abgeschöpft“, denn seine Bücher und Aktionen waren doch Wasser auf die Mühlen des Arbeiter-und-Bauern-Staates und zudem öffentlich. Aber ob er ein Verbündeter, gar ein Getreuer der Stasi war, wie jetzt der Eindruck erweckt werden soll, das ist doch mehr als fraglich. Das würde Wallraffs Geist von Unabhängigkeit widersprechen. Unterstützung hat er vom damaligen DDR-System erhalten. Mediale Präsenz, Einreiserleichterung. Das war doch schon bekannt und auch nicht verwunderlich. Aus einem gemeinsamen „Feindbild“ ergeben sich oft Zweckgemeinschaften. Man möge doch nur mal bei den Konservativen nachfragen. Glänzende Kontakte zu Killerregimen, Waffenhändlern und Großkonzernen. Hätte er sich etwa an Bayer, Springer, Mc Donald’s oder die CDU/CSU wenden sollen? Wallraffs Einsatz und Engagement bleibt unbestritten. Er setzte und setzt sich für diejenigen ein, die keine Stimme haben, machtlos und oft ausgeliefert sind. Das fehlt vielen seiner heutigen Kollegen, die sich jetzt in den Chor der Empörten einreihen. STEFAN DERNBACH, Siegen