jenni zylka über Sex & Lügen
: Mann-Frau-Setting im Dschungel

Tarzans Abenteuer sind eine Fundgrube für Körpersprachler – und für die Sehnsuchtsproduktion

„Ungawa!“, knarzt der halbnackte Mann und deutet viel sagend auf das Baumhaus, „ungawa!“ Die Frau versteht, die Schimpansin ohnehin. 1932, als Edgar Rice Burroughs’ erfolgreiche Tarzan-Reihe bereits achtmal verfilmt worden war, davon zweimal tonlos mit dem dicklichen Hippiemattenträger Elmo Lincoln und zweimal mit dem Tarzanschrei- und Lianenschwung-Erfinder Frank Merrill, wurde das „Ungawa!“ in „Tarzan of the apes“ zum Grundstock der Tarzansprache. Und die ist schlichter und dennoch tausendmal effektiver als das, was Forscher seit den 70ern versuchen, verständigen Äffchen beizubringen, damit sie Sätze wie „Wenn Klara nimmt rotes Klötzchen, dann Klara bekommt Banane“ schreiben und sich anschließend den behaarten Wanst voll stopfen können.

Johnny Weissmuller, der bestaussehende Tarzan, der nach einer mit fünf Medaillen gekrönten Schwimmkarriere sein Jodelhobby in den neuen Beruf einfließen ließ und den Tarzanschrei angeblich charakteristisch modulierte, ist in seinen zwölf Tarzan-Abenteuern eine wahre Fundgrube für Körpersprachler. Vor allem in „Tarzan and his mate“ mit der erfolgreichsten Jane, der irischen Schauspielerin Maureen O’Sullivan, besteht die heile Dschungelwelt fast nur aus erotisierendem Herumgeplansche und symbolisch-heißen Andeutungen. Was sollen die beiden auch sonst machen, zwischen den Abenteuern mit den weißen Forschern auf Diamantenjagd und den Nachbardorfbewohnern?

Kaum einem Mann-Frau-Setting wohnt von vorneherein so viel Sex-Appeal inne wie der Tarzan-Jane-Konstellation im immer warmen Dschungel. Dort braucht man kaum Kleidung und lebt zwischen triebhaften Tieren und nicht weniger triebhaften unbekannten Völkern. Die wiederum wurden in den Tarzan-Verfilmungen bis in die 50er hinein mit dem sattsam bekannten Rassismus Hollywoods als schlichte, dumme und geile Wilde dargestellt.

Ich hatte meine zügellose Leidenschaft für Tarzan über die Jahre fast verdrängt, als ich neulich wegen meiner kaputten Fernbedienung in einem kleinen, verwunschenen TV-Hi-Fi-Reparaturgeschäft im schönsten der dort gestapelten Fernseher, einem weißen Nordmende-Gerät von 1965, zufällig einen Tarzanfilm-Ausschnitt sah. Der Verkäufer prökelte im Hinterraum herum und ließ sich von dem Eingangs-Stoffgorilla (!), der über der Tür hockte und jeden Gast mit einem charmanten Hinterherpfeifen begrüßte, nicht sofort hervorlocken. Also stand ich in dem kleinen Laden und guckte Fernsehen. Und es überkam mich plötzlich, dass sich die verschiedenen Kanäle aus unerklärlichen Gründen immer die jeweils passenden Geräte ausgesucht zu haben schienen: „Baywatch“ flimmerte über ein hässliches, protziges Sony-Gerät aus den 90ern, in einem spießigen Phillips-Holzkasten konnte ich den „Teleshop“ gucken, oben in der Ecke machte eine Cartoonkatze in einem süßen, kleinen, roten Apparat der dummen Maus hoffentlich das letzte Mal den Garaus. Und in ebenjenem außergewöhnlich hübschen Nordmende-Schwarzweißgerät schrie Tarzan brünftig, bevor er sich auf die erwartungsvolle Jane stürzte.

Die Fernbedienung hatte ich vergessen, ich stürzte lieber schnell nach Hause und schaltete meinen eigenen Fernseher, ganz altmodisch mit dem eigenen Finger, an. Es funktionierte, und bald konnte ich den glänzenden, 1,91 Meter großen, sanften, starken Johnny Weissmuller dabei beobachten, wie er von Jane doch ein paar neue Vokabeln lernt und wie gehabt glücklich durch den Dschungel rumort. Zwischendurch sprach er noch ein paar Mal das Zauberwort „Ungawa!“, und immer passierte etwas Wichtiges. Einmal war es an Cheetah gerichtet, die daraufhin sofort zu einer Affenkonferenz zwecks ökologischer Erhaltung des Dschungels eilte. Einmal folgten ihm sämtliche Dschungelelefanten, um die Bösen in die Flucht zu schlagen. Und einmal kriegte er mal wieder Jane damit rum.

Alles brach wieder über mich herein: das einfache Leben mit dem ruhigen, verlässlichen, verliebten Weissmuller-Halbaffen, frei von wortreichen Streits, Eifersucht und materiellen Engpässen. Die gesunde Zerstreuung beim Schwimmen, Elefantenreiten und Lianenschwingen. Das frische Obst und Gemüse. Die vielen netten Haustiere. Wie vermisse ich das!

Ich werde mich auf meine alten Tage noch einmal in den Dschungel aufmachen, mich auf eine Expedition begeben und unerlaubt von der Truppe entfernen, mich von Tarzan kidnappen lassen und bei ihm bleiben. Als einzige Zivilisationsattribute werde ich ein kleines, aus einem Hotel geklautes Nähset für den Bikini und eine Flasche Kontaktlinsenflüssigkeit in meiner Gürteltasche tragen. Und wenn die Flasche leer ist, schwing ich nach Gehör.

Fragen zur Körpersprache? kolumne@taz.de