Al-Sadr macht sich zur Zielscheibe

Der radikale Prediger versucht mit der irakischen Regierung auf Zeit zu spielen. Ohne Erfolg. Er hat seine Mahdi-Milizen nicht genug im Griff

AUS BAGDAD INGA ROGG

Der Aufruf zum Frieden in Nadschaf ist ungehört verhallt. Einen Tag nachdem der schiitische Militante Muktada al-Sadr seine Bereitschaft zur Niederlegung der Waffen erklärte, hat der irakische Ministerpräsident Ajad Allawi die Mahdi-Armee von al-Sadr ultimativ zur Kapitulation aufgefordert. Die Milizionäre hätten nur wenige Stunden Zeit, ihre Waffen niederzulegen, hatte vorher sein Staatsminister angedroht. Die politischen Mittel seien ausgeschöpft, sagte Qassem Dawud. Sollten al-Sadr und seine Miliz den Imam-Ali-Schrein in Nadschaf nicht räumen, werde die Regierung den Angriff befehlen. Zugleich fordert die Regierung, dass al-Sadr öffentlich der Gewalt abschwört. Im ähnlichem Ton hatte am Mittwoch schon Verteidigungsminister Hadhim Schaalan von al-Sadr ein Einlenken gefordert.

Der Prediger hatte sich dann aber kurz nach dem Ultimatum in einem Schreiben an die in Bagdad tagende Nationalkonferenz gewandt und erklärt, er akzeptiere die Forderungen der Konferenz. Deren am Montag verabschiedeter Friedensvorschlag sah die Räumung der heiligen Stätten in der Pilgerstadt Nadschaf und in Kufa vor. Im Gegenzug wurde al-Sadr und seinen Milizionären Straffreiheit und die Rückkehr in die Politik in Aussicht gestellt. Doch al-Sadr ist bekannt für sein Spiel auf Zeit. Mehrfach schon hat er seine Bereitschaft zum Einlenken bekundet, nur um dann beim nächsten öffentlichen Auftritt mit herben Worten gegen die Interimsregierung wie gegen deren amerikanische Verbündete vom Leder zu ziehen. Auch diesmal scheint sein Angebot weniger eindeutig, als es auf den ersten Blick erschien. Der Plan könne nur umgesetzt werden, wenn die irakischen und amerikanischen Truppen ihre Angriffe in Nadschaf einstellten und Verhandlungen aufgenommen würden, sagte ein Sprecher des Predigers. Doch an Verhandlungen denkt man im Kabinett Allawi offenbar nicht. Zweifel an al-Sadrs Absichten kam auch aus Washington. „Ich denke nicht, dass wir al-Sadr trauen können“, sagte die Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice im US-Sender Fox.

Schon in der Nacht zum Donnerstag waren die Kämpfe erneut aufgeflammt. Gestern Morgen starteten amerikanische Truppen im schiitischen Armenquartier Medina Sadr im Norden von Bagdad eine Offensive. Dutzende Panzer und eine Kolonne von Armeefahrzeugen rollten über zwei Kilometer in das Quartier vor, in dem der Militante besonders viele Anhänger hat. Anwohner berichteten von schweren Kämpfen. Nach Angaben des amerikanischen Militärs wurden bei der Offensive 50 Sadr-Milizionäre getötet.

In der Nähe des südöstlich von Kut gelegenen Hay kam es ebenfalls zu schweren Zusammenstößen. Unterstützt von multinationalen Truppen seien irakische Sicherheitskräfte gegen Mahdi-Milizionäre vorgegangen, hieß es in einer vom amerikanischen Militär verbreiteten Erklärung. Dabei seien zwei Busse ins Kreuzfeuer geraten, hieß es. Sechs Fahrgäste seien getötet, fünf weitere verletzt worden.

Bis zum Redaktionsschluss reagierte al-Sadr nicht auf das Ultimatum der Regierung. Sein Problem ist freilich, dass er seine Miliz gar nicht so einfach nach Hause schicken kann. Im Gegensatz zu den Badr-Einheiten des Sciri (Hoher Rat für die Islamische Revolution im Irak) oder den kurdischen Peschmerga-Verbänden handelt es sich bei der Mahdi-Armee nicht um eine gut trainierte, disziplinierte Guerilla. Jeder, der eine Waffe hat und sich kurzerhand zum Kämpfer erklärt, wird sofort aufgenommen. Das öffnet Tür und Tor für zwielichtige Gestalten, seien es einfache Kriminelle oder ehemalige Baathisten, die einfach nur Unruhe stiften. Von vielen Irakern wird die Miliz als bewaffneter Mob angesehen, der Städte und Wohnquartiere terrorisiert. Ob sie nun auf Waffengewalt oder Verhandlungen setzt, für die Regierung ist eine schnelle Lösung des Konflikts deshalb kaum möglich. Auch wenn sie jetzt auf eine harte Linie eingeschwenkt ist.

Unterdessen hat eine Extremistengruppe, die einen US-Journalisten und dessen Übersetzer in ihrer Gewalt hält, den Abzug der Amerikaner binnen 48 Stunden verlangt. Die beiden waren am Freitag in der südirakischen Stadt Naseriye verschleppt worden. Auf einem vom arabischen Sender al-Dschasira ausgestrahlten Video hat die Gruppe, die sich „Märtyrer-Brigaden“ nennt, mit der Ermordung des Journalisten gedroht, sollte das Ultimatum nicht eingehalten werden.