Weder nobel noch weise

Der Politiker Shimon Peres stilisiert sich in seiner Autobiografie zum philosophierenden Staatsmann. Zweifel am Zionismus sind ihm fremd

VON TSAFRIR COHEN

Friedensnobelpreisverdächtig ist ein Staatsmann, wenn er an einer bedeutenden historischen Weggabelung eine richtungsweisende Vision besitzt – und diese Vision später sogar in die Tat umsetzen kann.

Der israelische Politiker Shimon Peres schien genau so ein Staatsmann zu sein und hat deshalb den Nobelpreis erhalten. Er entwickelte die erfrischende Vision eines neuen Nahen Ostens, in dem Palästinenser und Israelis friedlich miteinander leben könnten, und hat damit unzählige Menschen begeistert. Doch Peres’ Vision verlor allzu schnell an Strahlkraft. Die heutige Lage reicht als Beweis für das, was ihn von einem wirklichen Staatsmann unterscheidet: die Fähigkeit, zur rechten Zeit seine Vision in die Tat umzusetzen.

Nach dem Mord an Jitzhak Rabin 1995 war die israelische Rechte gelähmt, Peres zum zweiten Mal Premier geworden. Ein historische Chance bot sich – doch Peres versagte. Er versäumte es, aus der antirechten Stimmung im Land politisch Kapital zu schlagen und rechtzeitig Neuwahlen auszurufen. Wichtiger noch: Er versäumte es, zum ersten Mal jüdische Siedlungen, etwa in Hebron, räumen zu lassen. Bei den zu spät angesetzten Wahlen verlor Peres gegen die wieder erstarkte Rechte, seine große Chance hatte er vertan. Den Rest kennen wir: Bis heute ist noch keine einzige Siedlung geräumt worden.

Was sagt Peres in seinen „Erinnerungen und Gedanken“ dazu? Natürlich ist Arafat an allem schuld. Eher ungewollt und von Plattitüden nur so strotzend, gibt Shimon Peres in seiner Autobiografie jedoch Einblick in die Gründe für das Scheitern der Friedensverhandlungen.

Dabei geriert sich Peres als philosophierender Staatsmann. Seine Selbstdarstellung ist stark angelehnt an Autobiografien von Politikern, die das Nachkriegseuropa in einen friedlichen Kontinent verwandelten. Doch diese Persönlichkeiten waren durch eine tiefe Einsicht in die Bedeutung der Vergangenheit für eine zu gestaltende gemeinsame Zukunft geprägt. Peres hingegen schreibt: „Die Geschichte entfaltet sich in der Zukunft, niemals in der Vergangenheit.“ Das ist nur die eine Seite der Medaille, denn ohne ein Verständnis für die Geschichte des Nahostkonflikts, also für die gegensätzlichen Narrationen der beiden Völker bezüglich der gleichen Geschehnisse, kann eine Annäherung kaum stattfinden.

Peres erzählt von den verschiedenen Stationen seiner Karriere: Schon vor der Proklamation des Staates Israel 1948 war er die rechte Hand des legendären Staatsgründers Ben Gurion, später maßgeblich an dem Aufbau der israelischen Armee und des Atomwaffenarsenals beteiligt. Zudem initiierte er das strategische Bündnis mit Frankreich, das in den 50er- und 60er-Jahren eine ähnliche Rolle spielte wie die heutige Allianz mit den USA und 1956 im gemeinsamen Angriffskrieg auf den Suezkanal gipfelte. Ob als Minister oder als Oppositionsführer, Peres blieb Hauptakteur der israelischen Politik. Wie bei kaum einem anderen ist die persönliche Geschichte mit der Israels verzahnt.

Dass Peres’ Erfolgsgeschichte auch gleichzeitig die Geschichte eines anderen Volkes betrifft, und zwar unter umgekehrten Vorzeichen, entgeht ihm gänzlich. Die Entstehung Israels ist auch die palästinensische Katastrophe, die Nakba. Doch Peres favorisiert vehement die israelische Narration in archaisch-markigen Bildern. Er spricht von „verwahrloster Erde, trocken und erstarrt“, von der „Eroberung der Wüste“ und dem „Sieg über die malariaverseuchten Sümpfe“. Die Marginalisierung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung oder auch die katastrophale Überbeanspruchung der spärlichen natürlichen Ressourcen übergeht Peres großzügig.

Im Gegensatz zu jenen europäischen Staatsmännern der Nachkriegszeit, die einen Bruch mit der eigenen nationalen Geschichtsschreibung gewagt haben, ja wagen mussten, die den Diskurs ihrer Nachbarn wahr- und ernst genommen haben, gibt es in der Welt des Shimon Peres keinen Platz für die Schatten des zionistischen Fortschrittsdenkens.

In der „Zeit des Krieges“ war dies vielleicht folgerichtig, in der „Zeit des Friedens“ ist jedoch eine die eigene Rolle reflektierende Politik notwendig. Seine allgemeine Blindheit für die andere Geschichtsschreibung hat Peres – ähnlich wie Ehud Barak und viele andere israelische Politiker jeder Couleur – auch im Verhandlungsalltag daran gehindert, den palästinensischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Kein Wunder also, dass ihm das richtige Timing fehlte.

In Zeiten, in denen die israelische Rechte die Homeland-Lösung eines Ariel Scharon zu links findet, in denen nirgends eine Führungspersönlichkeit zu sichten ist, die die israelische Linke aus ihrem desolaten Zustand führen könnte, ist der über achtzigjährige Peres erneut zum Parteivorsitzenden der Arbeitspartei gewählt worden. Damit stellt er wieder einmal die alternativlose alt-neue Hoffnung des Friedenslagers dar.

Auf der Suche nach einem Staatsmann, der die Probleme der Region lösen könnte, finden wir in diesem banalen Buch, das farbenprächtige Lösungen für jede noch so weite Weltregion parat hält, lediglich einen eitlen, im Alter nicht weise gewordenen Mann.

Shimon Peres: „Eine Zeit des Krieges, eine Zeit des Friedens. Erinnerungen und Gedanken“. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Maja Ueberle-Pfaff. Siedler Verlag, München 2004, 18 Euro