Das Dumdumgeschoss

Gesine Schwan wirbt bei der Linkspartei für sich. Erst diskutiert der „Demagoge“ Oskar Lafontaine fröhlich mit. Aber fotografieren lassen will er sich mit der SPD-Kandidatin dann nicht. Ein Ortstermin

VON STEFAN REINECKE

Er fehlt. Oskar Lafontaine war angekündigt, doch jetzt ist nicht da. Der Fraktionschef der Linkspartei sollte mit Gesine Schwan im Reichstag vor den Kameras erscheinen. Aber er will nicht. Bloß kein gemeinsames Bild.

So tritt Gregor Gysi, ebenfalls Fraktionschef der Linkspartei, allein mit Schwan vor die Kamera. Gysi gestikuliert, hebt den Arm und lobt Schwans „Eigenständigkeit“. Schwan schaut Gysi freundlich an. Das soll Zugewandtheit und Offenheit zeigen.

Gut eine Stunde hat die SPD-Kandidatin, die Bundespräsidentin werden will, mit den Abgeordneten der Linkspartei hinter verschlossenen Türen diskutiert, auch mit Lafontaine. Über die Wirtschaftskrise, Volksentscheide und wie sie sich das Amt vorstellt. Vielleicht ist Diskutieren das, was Schwan, die Politikprofessorin, am besten kann. Sie hat, gerade wenn es darum geht, andere zu überzeugen, eine ansteckende, offene Art. Eine sprühende Lust am Disput. „Wir haben nicht um den heißen Brei herumgeredet“, sagt sie. Richtig fröhlich klingt sie nicht. Eher bemüht. Einige linke Abgeordnete sind enttäuscht, sie hatten mehr Scharfsinn und Esprit erwartet. Andere suchen nach Formeln, die nicht unfreundlich klingen. Aber auch nicht zu freundlich. Die Linkspartei mag sich nicht festlegen, ob sie am 23. Mai im dritten Wahlgang für Schwan votieren wird.

Im letzten Sommer hat Schwan in einem Interview gesagt: „Lafontaine ist ein Demagoge.“ Das war eine Art rhetorisches Dumdumgeschoss. Denn in Deutschland denken bei Demagogen viele an Hitler. Schwan hat die Linkspartei damals ziemlich vollständig gegen sich aufgebracht. Sogar der gutmütige Lothar Bisky meinte, dass Horst Köhler die Linkspartei „immer höflich behandelt hat und nie ausfällig geworden ist“.

Dieser Satz klebt seitdem an ihr wie Kaugummi. Schwan hat ihn abgemildert und gesagt, Lafontaine verhalte sich wie ein Demagoge – was die christliche Hoffnung auf Läuterung einschließt. Das Verhältnis zur Linkspartei hat sie damit allerdings auch nicht aufgehellt. Hätte sie sich das Wort „Demagoge“ verkniffen, dann wäre Peter Sodann heute vielleicht nur ein pensionierter Schauspieler – und nicht Zählkandidat der Linkspartei.

Gesine Schwan hat nur eine kleine Chance, Bundespräsidentin zu werden. Wenn es in der Bundesversammlung einen dritten Wahlgang gibt, wenn die Linkspartei dann fast geschlossen für sie stimmt, wenn ein paar von den Freien Wählern aus Bayern für sie votieren, dann gewinnt sie. Es ist eine Rechnung mit sehr vielen Unbekannten.

Ihre Kandidatur ist nicht nur ein rechnerisches Problem, sondern ein politisches. Schwan steckt in einem Dilemma, das auch ihre kommunikative Art nicht wegretuschieren kann. Wenn sie ordentlich gegen die Linkspartei holzt, dann zerstreut sie den Eindruck, dass ihre Wahl irgendwie doch ein Vorspiel für Rot-Rot-Grün im Herbst sein könnte. Auch die SPD-Linke murmelt mittlerweile auf Anfrage das Mantra „Keinesfalls 2009 mit Lafontaine“ nach. Die SPD hat ihr Nein zur Linkspartei in Beton gegossen. Auf Bundesebene gilt sogar eine Art Kontaktverbot. Als vor eine paar Monaten einige Jungpolitiker von SPD und Linkspartei zusammen Bier tranken, gab es in der SPD eine bitterernste Debatte darüber, ob so was erlaubt sei. Wenn schon bei Kneipentreffen Treueschwüre abverlangt werden, nie etwas mit der Linkspartei anzufangen – wie soll man erklären, dass Schwan um Lafontaine & Co wirbt?

Deshalb hat Schwan die Linkspartei so rüde attackiert. Und damit gleichzeitig ihre ohnehin bescheidenen Chancen, gewählt zu werden, noch mehr gemindert. Eine vertrackte Situation. Schwan ist seit 39 Jahren SPD-Mitglied. Genauso lange war Lafontaine in der SPD. Ihre Kandidatur legt das von viel Irrationalem durchzogene Verhältnis zwischen SPD und Linkspartei wie eine Sonde bloß. Verminte Felder überall.

Auch deshalb steht Lafontaine, der Empfindliche, nun nicht neben Schwan. Und Gysi, der noch fast jede ungemütliche Situation mit einer Pointe aufzulösen versteht, sucht nach passenden Worten. Der Demagogen-Vorwurf, meint er sibyllinisch, sei einerseits von Schwan nicht so gemeint gewesen. Andererseits nehme Lafontaine nicht alle Angriffe gegen sich persönlich, schon weil er damit viel zu viel zu tun hätte. Im Übrigen, so Gysi ein wenig trotzig, habe Lafontaine Humor. Später erscheint Lafontaine für eine Minute vor dem Fraktionssaal. Sein Eindruck von Schwan? „Gregor Gysi hat dazu alles gesagt“, sagt er knapp und verschwindet wieder. Ein verletztes Ego? Wahrscheinlich. Und eine Momentaufnahme in der Geschichte der Selbstlähmung der politischen Linken.