beim zeus
: Bildersturm im Athletendorf

FRANK KETTERER über Netto- und Bruttogehälter, einen Weizenbiertrinker und die Zeitung mit den dicken Lettern

Es war wieder einmal eine dieser Geschichten, die die Welt nicht braucht – und sie sprang einem gewohntermaßen balkendick beim morgendlichen Kaffee ins Gesicht: „Wer verdient was bei Olympia?“, brüllte Bild gestern auf Seite 1, und welche Absicht sich hinter der Schlagzeile verbarg, stand knapp darüber und nur in unwesentlich kleineren Buchstaben geschrieben: „Ausgerechnet Versager Ullrich kriegt am meisten“. Der Rest, sprich die ebenso „exklusive“ wie „große Gehaltsliste“ des deutschen Olympiasports, war im Innern des dünnen Blattes verborgen und gewohnt vage gehalten: Zum einen musste selbst Bild zugeben, dass „einige Gehälter“ auf der exklusiven Liste „geschätzt“ sind, zum anderen fehlte jegliche Angabe, ob es sich bei den angegebenen Zahlen um Netto- oder Bruttobeträge handelt. So genau wollte man es dann auch wieder nicht nehmen, warum auch, die Sache erfüllt schließlich auch im Ungefähren ihren Zweck: Star-Bashing. Was derzeit heißt: Ullrich-Bashing.

Ullrich ist schließlich einer der größten Stars im deutschen Olympia-Team – und in Athen bekanntermaßen ohne Erfolg geblieben. Gelesen hat sich das so: „Es gibt Olympia-Flops, die in Saus und Braus leben können. Und es gibt Olympia-Helden, die auf jeden Cent schauen müssen.“ Schon am Tag zuvor, nach dem enttäuschenden 7. Platz beim Zeitfahren, stand geschrieben: „Ullrich – Flop des Jahres“. Und nach Platz 19 im Straßenrennen vor knapp einer Woche musste sich Ulle gleich auf Seite 1 in Text und Bild vorhalten lassen, dass er sein Versagen des Abends mit einem Weizenbier im deutschen Haus abgefeiert habe.

Es ist also das im Gange, was man eine Kampagne nennt, Bild ist darin ja geübt. Und auch Ullrich ist nicht verborgen geblieben, dass er ins Fadenkreuz der Schmierfinken geraten ist. Nach dem Einzelzeitfahren hat er gesagt: „Die haben sich auf mich eingeschossen. Schade, dass in Deutschland so mit Stars umgegangen wird.“ Gesagt hat er auch: „Wenn man nach 240 Kilometern auf dem Rad auf Erik Zabels 4. Platz kein Bier mehr trinken darf, dann ist da irgendetwas falsch.“ Wobei Ullrich mittlerweile das Gefühl beschlichen hat, dass das gar nicht primär mit seiner sportlichen Leistung zu tun hat, die ja in der Tat nicht gerade berauschend war hier in Athen, sondern vielmehr mit seiner kürzlich erschienenen Biografie „Ganz oder gar nicht“.

Die große Bild, so heißt es, hätte diese gerne im Vorabdruck veröffentlicht, Ullrich hingegen präferierte es seriös – und kooperierte mit der Hamburger Illustrierten Stern. So eine Frechheit begeht man bei Bild nicht ungestraft.

Nun ist Ullrich also das große Olympia-Thema, nicht nur, wie aus der Ferne Athens unschwer anzunehmen ist, zu Hause in Deutschland, sondern auch mitten in Olympia, nämlich im Olympischen Dorf. Wobei hier weniger der Sportler, also Ulle, im Mittelpunkt der Betrachtungen steht und seine erbrachten Leistungen, als vielmehr die Art und Weise, wie speziell über ihn berichtet wird. Und täglich mehrfach kommt es in einer der olympischen Mixed Zones, wo Sportler und Reporter nach den Wettkämpfen zum üblichen Frage-Antwort-Spiel aufeinander treffen, vor, dass ein Athlet zürnend die Frage stellt: „Ist eigentlich jemand von der Bild hier?“ So wie auch Susanne Lahme, die Beachvolleyballerin, das getan hat, weil auch sie es schlichtweg unmöglich findet, wie da mit einem ihrer Sportkameraden umgegangen wird. „Das ist einfach eine Schweinerei“, hat sie wortwörtlich gesagt. Das Wort Schweinerei wird hier derzeit sehr oft in einem Atemzug mit dem Wort Bild genannt.

Nun gehören Schweinereien wohl zum Schweinejournalismus dazu; dass eine so breite Sportlerfront sich aber plötzlich zu Wort meldet und, zumindest ansatzweise, rebelliert, ist doch ziemlich neu. Zumal auch die Schwimmer ihr dickes Fett schon abbekommen – und sich dem Vernehmen bei den Leichtathleten darüber ausgeheult haben, die in den nächsten Tagen wiederum ihrerseits mächtig Bild-Prügel beziehen werden, ganz bestimmt. Bleibt die Frage, ob all die erbosten Sportler auch Konsequenzen daraus ziehen – und wie lange das dann anhält. Bild ist schließlich ziemlich mächtig, gerade im Sport – und sie kann Stimmung machen im Land. Wenn Bild also schreibt, dass Ullrich ein Flop ist und zu viel Geld verdient, dann denkt Deutschland plötzlich, dass Ullrich ein Flop ist und zu viel Geld verdient. Es ist also ziemlich schwer, sich gegen die medialen Machenschaften von Bild zur Wehr zu setzen.

„Denen gebe ich erst mal kein Interview mehr“, hat Ullrich hier in Athen trotzdem und trotzig angekündigt. Das ist zunächst einmal ein durch und durch löblicher Vorsatz, ob er ihn umsetzen kann, wird allerdings abzuwarten bleiben. Denn gut möglich, dass demnächst sein Manager beschließt, dass es besser wäre, den Krieg zu beenden und mal wieder mit der Bild zu reden, damit die endlich aufhören, schreibend mit Dreck zu werfen. Und dann wird Ullrich mit der Bild reden und die Bild ein großes Exklusiv-Interview drucken und obendrein ein paar Geschichten erfinden, wie fleißig unser Ulle nun sei und wie wenig Geld er für all diesen Fleiß doch kassiere, der arme Kerl.

So funktioniert das Geschäft – und sehen kann man das bereits hier in Athen, bei einem anderen Star der deutschen Mannschaft. Auch Franziska van Almsick ist hier ja ziemlich gescheitert, und doch waren die Schlagzeilen in Bild danach ziemlich zahm und matt, freundlich beinahe, und gar nicht so, wie man sich das hätte vorstellen können oder sogar müssen. Dafür hatte Bild zwei Tage nach van Almsicks Scheitern ein ziemlich großes Interview im Blatt, das einzige dieser Art. Und wer weiß, vielleicht gibt es bald schon einen Nachschlag. Schließlich wirft auch die van Almsick demnächst die Geschichte ihres Lebens auf den Markt. Und irgendwo muss der Vorabdruck ja veröffentlicht werden.