„Wir sind keine Geier“

Der evangelische Sportpfarrer Klaus-Peter Weinhold betreut die deutschen Athleten in Athen. Um Glaube, Gott und Religion geht es in seinen Gesprächen mit den Sportlern allerdings selten

INTERVIEW JUTTA HEESS

taz: Herr Weinhold, haben die erfolglosen Schwimmer Ihren Zuspruch besonders in Anspruch genommen?

Klaus-Peter Weinhold: Bisher noch nicht. Wir haben in ihrem Kreis am vergangen Sonntag vor den Wettkämpfen noch einen Gottesdienst abgehalten, aber es hat ja nicht so viel geholfen.

Kann denn der Glaube im Sport überhaupt helfen? Kümmert sich Gott um Medaillen?

Also, es gibt schon eine ganze Menge Sportler, die mit Stoßgebeten und religiöser Sprache bitten: „Gott, gib mir die Kraft, lass mich den Wettkampf gewinnen.“ Aber in dem platten Sinne „Ich muss siegen, weil ich an Gott glaube“, das denkt keiner. Da überwiegt schon die differenzierte Wahrnehmung, dass man selbst verantwortlich ist für sein Tun.

Worüber sprechen die Athleten mit Ihnen?

Wir reden vor allem über die sportliche Situation: Wie sieht es aus, welche Hoffnungen hat man, wie ist der Wettkampf gelaufen? Man spricht über den Ärger und die Traurigkeit. Deshalb ist es immer wichtig, dass mein katholischer Kollege und ich die Wettkämpfe verfolgen. Heute Morgen zum Beispiel habe ich noch mal mit unserer Radsportlerin Angela Brodtka gesprochen, die in der letzten Runde des Straßenrennens verunglückt ist. Das sind eben so die Probleme, die Niederlagen mit sich bringen. Aber auch die Freude und der Jubel, das gehört genauso dazu.

Sie sind also eher ein Kummerkasten, weniger ein Berater in Glaubensfragen?

Es geht erst mal nicht sofort um das ganz harte theologische Gespräch. Die Sportler nutzen die Gelegenheit, einfach etwas erzählen zu können, was sie belastet. Im Gespräch mit dem Sportler erfährt man über die physische Seite hinaus auch etwas über seine mentale Situation, also: Worauf muss er sich besonders konzentrieren, wo sind seine psychische Schwachstellen? Und wenn man sich darüber ausgetauscht hat, dann kommt auch mal eine Frage wie „Was machst denn du eigentlich hier als Sportpfarrer? Warum interessiert sich die Kirche dafür?“ So gelangt das Gespräch gelegentlich auf eine andere Ebene. Man redet darüber, wie man den Sport mit den Mühen, die er macht, in ein Lebenskonzept einbauen kann, welchen Preis man zu zahlen bereit ist oder wo die besondere Freude und die Lust am Erleben liegen. Wir sind als Pfarrer auf keinen Fall die Geier, die auf den Kummer oder die Trauer warten, sondern es ist eine Anteilnahme am Leben des Sportlers.

Angesichts der schlechten Leistungen einiger deutscher Sportler überwiegen momentan wohl Kummer und Trauer. Wie äußert sich die Enttäuschung bei den Sportlern?

Ich habe den Eindruck, die einen würden gerne weinen, würden sich vor Scham am liebsten verstecken, andere sagen aber auch selbstbewusst, zum Beispiel einige Schwimmer: „Mensch, ich bin ein super Rennen geschwommen und bin aber nur Elfter geworden.“ Insgesamt ist das sicherlich enttäuschend, vor allem auch weil viele im Trainingslager Zeiten geschwommen sind, die hier für eine Medaille gereicht hätten. Aber das muss man eben aushalten können. Seelsorge heißt auch, dass man Zeit gewinnen muss.

Wird vielleicht die Bedeutung der Psyche in wichtigen Wettkämpfen unterschätzt?

Die Betroffenen wissen das schon sehr genau. Aber den Medienvertretern oder auch den Zuschauern zu Hause muss man manchmal sagen, dass man die Erwartungen nicht immer allzu hoch hängen darf. Die meisten kucken immer, was hinten rauskommt, aber Sport ist sehr kompliziert, da spielen viele Faktoren eine Rolle. Zudem ist die Weltspitze immer enger zusammengerückt.

Hat der heutige Leistungssportler vielleicht einfach zu wenig Zeit zur Besinnung?

Sicher ist es eine Belastung, dass es heute immer weniger Ruhephasen für die Sportler gibt. Man hat vielleicht drei, vier Wochen im Jahr Zeit, sich zu regenerieren, und sonst geht es eigentlich rund um die Uhr um Wettkämpfe. Da müsste man tatsächlich fragen, wo man das Rad ein wenig zurückdrehen kann, da müssten sich aber alle Beteiligten einigen. Das Gros der Sportler – und viele Sportler trainieren hart und verdienen nichts, zum Beispiel die Hockeyspieler – muss einfach Beruf, Familie und Leistungssport unter einen Deckel bringen, und das ist schon schwer genug. Da ist unsere Unterstützung als Sportpfarrer im Grunde noch mehr gefragt.

Sie werden am Sonntag den deutschen Badmintonspieler Björn Siegemund taufen. Warum will der Sportler während der Spiele getauft werden?

Björn Siegemund will demnächst heiraten und ist bisher nicht in die Kirche eingetreten, obwohl ihm der Glaube viel bedeutet. Er wollte sich schon vorher taufen lassen, hätte aber den Taufunterricht besuchen müssen, was er als Leistungssportler zeitlich nicht geschafft hat. Jetzt mache ich es eben hier in Athen. Und für solche Fälle sind wir ja eigentlich auch da.