Apparatschik statt Experte

Der frühere Jugendfunktionär Péter Kiss soll neuer Regierungschef Ungarns werden

Zwei Jahre lang hielten ein paar versprengte, aber unermüdliche Demonstranten auf dem Budapester Parlamentsplatz kleine Schildchen hoch. „D-209“ stand darauf. D-209 war der Code, unter dem Ungarns sozialistischer Regierungschef Péter Medgyessy einst als Geheimagent des kommunistischen Innenministeriums geführt worden war. Nachdem Medgyessy zurückgetreten ist, könnten die hartnäckigen Protestler nun rosarote Sterne auf ihre Schildchen malen. Denn neuer ungarischer Regierungschef könnte Péter Kiss werden: der ehemalige Budapester Generalsekretär des ungarischen kommunistischen Jugendverbandes KISZ.

Ungarns zurückgetretener Regierungschef war in seiner eigenen Partei, den Sozialisten, seit langem ungeliebt. Nicht wegen seiner früheren Agententätigkeit, sondern wegen seiner hölzernen Auftritte und der blassen, autoritätslosen Figur, die er als Regierungschef abgab. Medgyessy war weder Politiker noch Parteimann. Die Europawahlen im Mai hatten die Sozialisten haushoch verloren. Selbst als Finanzfachmann war Medgyessy nicht erfolgreich: Mit der ungarischen Wirtschaft geht es derzeit bergab.

Am Ende einer fast schon inszeniert anmutenden Krise in der sozialistisch-liberalen Regierungskoalition haben die Sozialisten ihren Regierungschef fallen lassen. Péter Kiss, derzeit noch Staatsminister und Leiter der Kanzlei des Regierungschefs, gilt als Favorit für die Nachfolge.

Apparatschik statt Experte. Péter Kiss, 45, klein und füllig, wirkt wie ein zu früh gealterter Junge und so, als sei er direkt in Parteisitzungen hineingeboren worden. Schon als Jugendlicher und Student der Budapester Maschinenbau-Universität war er hochaktiver Funktionär des kommunistischen Jugendverbandes, in der Wendezeit 1989 stieg er zum ZK-Mitglied der Sozialisten auf. Nach 1989 begann sein manchmal mühseliger Weg in den Führungszirkel der wendesozialistischen Partei. Vom einfachen Budapester Stadtratsabgeordneten stieg er zweimal auf zum Arbeitsminister. Seit 2001 ist er Chef der „Linken Plattform“, einer linkspopulistischen parteiinternen Gruppierung der Sozialisten.

Ein Mann wie er ist es wohl, den die Sozialisten meinen gerade zu brauchen. Er glänzt weder durch Ideen noch durch persönliches Format, aber er gilt als einer der fähigsten Organisatoren und Politiker der Sozialisten. Mit ihm, so hofft die Partei, könnte der Kontakt zum Volk wieder hergestellt werden.

KENO VERSECK