ein mörderischer sommer von ILKE S. PRICK
:

Ich bin tierlieb, ehrlich, aber es gibt Momente, da vergesse ich das glatt. 20 Grad, Septembersonne. Ich habe den Klappstuhl rausgestellt, Milch aufgeschäumt und die Kekse unterm Lorbeer deponiert. Heimlich schleicht sich das Grauen an. Kann es sein, dass Kekse Füße haben? Viele Füße. Ekelhaft! Und ob sie sich wirklich einbilden, dass sie so ein massives Teil mit Nüssen unbemerkt durch die Mauerritze bugsieren können? So nicht, meine Herren!, schnaube ich. Mit den Krümeln ziehen sie davon.

Natürlich glaube ich, dass Ameisen nützlich sind. Nur habe ich meine Geduld schon Anfang des Sommers verloren, als wir uns auf friedliche Koexistenz in der Speisekammer geeinigt hatten. Wahrscheinlich spreche ich nicht ausreichend Ameisisch, denn wir haben uns gründlich missverstanden. Nach zwei Tagen durchstöberten sie den Biomüll, und nach einer Woche traf ich sie im Kühlschrank. Das war der Moment, in dem ich mich für Backpulver entschied. Abends im Bett stellte ich mir vor, wie sie wohl in ihrem Bau liegen, aufblähen und mit einem Knall zerplatzen. Zuerst knallt die Königin, dann die Arbeiter. Es sei denn, sie haben heimlich auf dem Weg genascht. Ich bin tierlieb, wie gesagt. Mit einem Plöpp-plöpp-plöpp im Ohr bin ich aufgewacht. Schweißgebadet. Die Ameisen waren hin, aber bis Ende Juli litt ich unter Schlafstörungen.

Diesmal muss es professioneller sein. Ich lauere hinter dem Vorhang und mache eine Skizze. Auf dem Balkon sieht es aus wie die A 1 kurz hinter Leverkusen. Von der Tür aus geht’s in Richtung Rose, dann über den Vogelbeerbaum auf die Balkonbrüstung und ab zu den Keksen. Ich drücke die Laschen der Köder hinunter und stelle Nummer eins auf das Kreuz Köln-West, quasi als Umleitung nach Aachen. Nummer zwei landet auf Köln-Rodenkirchen, um die Straße nach Bonn-Keksteller zu blockieren. Mörder!, tönt es in meinem Kopf, als mein blutiges Werk getan ist. Für Momente habe ich Skrupel, aber das geht vorüber. Schließlich habe ich Backpulvererfahrung. Sie versuchen, die Dosen zu umfahren. Man kann es beinahe hören: „Achtung! Hindernis zwischen Köln-Lövenich und Köln-Klettenberg.“ Ich grinse, denn demnächst werden die Durchsagen lauten: „Umgekippte Fahrzeuge auf der linken Spur.“ Warnungen vor Geisterfahrern werden folgen. Ich rufe mich zur Räson. Irritiert fragt meine Freundin abends, woher denn das Funkeln in meinen Augen kommt. Ich verkneife mir den Vorschlag, dass wir uns doch auf den Balkon setzten könnten und eine kleine Wette abschließen, wer von ihnen als Nächstes schlapp macht. Mit Tierliebe wäre das leider kaum zu vereinbaren.

Ein paar Tage später ist alles vorbei. Nun kann ich wieder ungestört den Klappstuhl herausholen. Aber was ist das? Kriecht da etwa eine Blattlaus den Lorbeer hinunter? Ich sehe förmlich, wie ihr die Spucke im Mund zusammenläuft, als sie auf die Kekse starrt. Der Altweibersommer liegt noch vor mir, und dumpf beschleicht mich die leise Ahnung, dass meine mörderische Karriere noch lange nicht zu Ende ist.