berliner szenen Reden im Volkspalast

Unter Wichtigtuern

„Jetzt wird es unangenehm“, sagte Verleger A., als gegen halb eins Uhr morgens ein berühmter Schriftsteller, gemeinsam mit einer berühmten Schauspielerin und einem bekannten stellvertretenden Chefredakteur, den Eingangsraum des in Volkspalast umbenannten ehemaligen Republikpalasts betrat. Um keinen Streit anzufangen, nickte man. Im Grunde war es aber schon seit Stunden unangenehm. Zwischen Journalist B., Dramaturg C., Künstler D., Publizist E., Irgendwie-auch-was-Macher F., Philosophin G., ehemaligem Popstar H., Kuratorin I., Schriftsteller J., Buchhändlerin K., Kritiker L., Redakteur M. und Doktorand N. stand es sich zwar ganz gut, aber man konnte sich des Gefühls nicht erwehren, als wenn all diese ganzen Betätigungen, als deren Repräsentant man ja auch hier war, all das, was einen auf die Gästeliste dieser Veranstaltung gebracht hatte, am Ende nicht viel mehr wog, als eben genau das zu sein – ein Freifahrtschein, um mit all den anderen Wichtigtuern herumzustehen und sich gemeinsam darin einig zu sein, dass das Programm nichts taugt. Unbeeindruckt von der Tatsache, dass das ganze Programm natürlich von Leuten bestritten wurde, die allesamt selbst informelle Mitglieder des gleichen Wichtigtuer-Clubs sind. Natürlich war es auch toll, sich so einig zu sein, in seiner geistreichen Langeweile in diesem Bonmot-getriebenen Treibhaus des intellektuellen Inzests. Aber es ermüdete auch und machte ein wenig traurig: Sollte das jetzt wirklich die kritische Kulturintelligenzija der Stadt sein, wie man hier so herumstand und sich beste Mühe gab, die Reihen von A bis Z geschlossen zu halten? Hatte man sich da nicht mal was anderes versprochen? Und war einem nicht auch anderes versprochen worden?

TOBIAS RAPP