Schlüsselübergabe in Nadschaf gescheitert

Keine Einigung im Irak zwischen Vertretern des radikalen Geistlichen al-Sadr und Großajatollah al-Sistani

BAGDAD taz ■ Die Verhandlungen über die Kontrolle der Imam-Ali-Moschee in Nadschaf sind offenbar gescheitert. Die Übergabe des Heiligtums an die religiöse schiitische Führung sei bis auf weiteres verschoben, sagte ein Sprecher von Muktada al-Sadr gestern. Der schiitische Militante hatte am Freitag die Übergabe der Schlüsselgewalt an Großajatollah Ali al-Sistani zugesagt. Zudem versprach er, seine Milizionäre aus der Moschee abzuziehen. „Die Angelegenheit ist verschoben, weil wir auf eine Antwort al-Sistanis über die Bildung eines Ausschusses warten“, sagte Scheich Ahmed al-Scheibani.

Statt die Moschee wie von der Regierung gefordert zu räumen, verlangte al-Sadr, dass eine Delegation von al-Sistani das Heiligtum in Augenschein nimmt und feststellt, dass nichts gestohlen und beschädigt wurde. Diesen Gefallen wollte al-Sistani, der zurzeit in ein Londoner Klinik behandelt wird, dem notorischen Wortbrecher nicht tun. Zuerst müsse die Miliz die Moschee räumen und die Schlüssel in einem Umschlag an das Büro von al-Sistani in Nadschaf übergeben, sagte ein Sistani-Vertrauter. Das Ansinnen einer Delegation wiesen seine Vertrauten wegen der unsicheren Lage zurück.

Obwohl al-Sadrs Kämpfer über das Wochenende auf dem Moscheegelände keine Waffen bei sich trugen, machten sie auch keine Anstalten, den Komplex zu verlassen. Vielmehr verstärkten sie ihre Stellungen in den engen Straßen der umliegenden Altstadt. Um sie herum zogen die Amerikaner ihren Ring enger, mittlerweile sollen US-Panzer bis auf rund 700 Meter in die Nähe des Komplexes gerückt sein.

Obwohl die Kämpfe in Nadschaf übers Wochenende leicht abflauten, war keine Entspannung in Sicht. Der Schauplatz wechselte nur ins benachbarte Kufa. Dort wie auch in Nadschaf bombardierten die Amerikaner wiederholt Stellungen der Milizionäre. Dabei wurden etwa 40 Kämpfer und Zivilisten getötet. Bei einem Angriff der Milizionäre auf eine Polizeiwache wurden fünf Polizisten getötet.

Die Grabmoschee des Begründers der Schia ist für al-Sadr das große Faustpfand, das er sich nicht so leicht aus der Hand nehmen lassen will. Bei dem Feilschen mit al-Sistani geht es nicht nur um die Kontrolle des Heiligtums und die damit verbundenen finanziellen Vorteile. Es ist auch ein Machtkampf unter den beiden zentralen Richtungen der irakischen Schia – die quietistische, wie sie al-Sistani vertritt und die revolutionäre der al-Sadr-Dynastie. Für al-Sadr ist dieser Kampf mindestens so wichtig wie sein Kampf gegen die irakische Interimsregierung. Während unter den Schiiten die Abscheu gegenüber al-Sadrs Bandentum wächst, kann er sich der Sympathien unter vielen Sunniten weiterhin sicher sein.

Zu den Entführungsopfer zählen immer mehr auch Journalisten. Seit Ende letzter Wochen werden ein italienischer und zwei französische Journalisten vermisst. Der Mitarbeiter der Zeitung Diario wurde vermutlich entführt, sein Fahrer soll getötet worden sein. Weiterhin fehlt jede Spur von einem irakischen Kameramann, der für deutsche Sender tätig ist. INGA ROGG