Wachsende Kritik an Schwedens Polizei

Die Ermittler fahnden fieberhaft nach dem Mörder von Außenministerin Anna Lindh. Gesucht wird nun auch im Ausland

STOCKHOLM taz ■ Hartnäckig haben sich gestern Gerüchte gehalten, dass Schwedens Polizei einen des Mordes an Außenministerin Anna Lindh Verdächtigen dicht auf der Spur ist. Aus Polizeikreisen wollten Medien erfahren haben, dass zwar noch niemand festgenommen, der Mann auf den Fahndungsfotos aber möglicherweise identifiziert und „in seiner Abwesenheit verhaftet“ worden sei, wie es in Schwedens Amtssprache heißt, womit die Ausstellung eines Haftbefehls gemeint ist. Konkrete Anfragen wollten die Polizei aber nicht kommentieren.

Der mögliche Durchbruch kommt zu einer Zeit, in der die Kritik in Medien und Öffentlichkeit immer lauter wird. Die Polizei habe sich sehr schnell auf einen bestimmten Tätertyp festgelegt und es dabei versäumt, unvoreingenommen alle Spuren zu verfolgen. In der Überzeugung, es mit einem lokalen Täter zu tun zu haben, hatte man weder außerhalb Stockholms gefahndet noch effektive Grenzkontrollen eingeführt. Erst am Montag wurde Interpol eingeschaltet.

Fünf Tage dauerte es, bis der Polizei aufging, dass sowohl die Mütze als auch die Jacke, die ein von Überwachungskameras gefilmter Mann trug, eine Auslandsverbindung nicht ausschließen. Die Schirmmütze ist ein teureres, in Schweden unbekanntes und auch sonst außergewöhnliches Modell. Bei der Jacke stellte sich nach Befragung von Fachhändlern heraus, dass dieses Modell in Schweden kaum bekannt ist und womöglich dort nie im Handel war. Dass die Polizei anhand dieser Hinweise erst im Obdachlosenmilieu nach dem Täter suchte, deutet auf frühzeitige Scheuklappensicht.

Auch beim Tathergang gibt es mehr Fragen als Antworten. Die Krimiautorin Liza Marklund berichtete, dass sie mit ihrer Freundin Lindh kurz vor der Tat mehrere SMS wechselte, bei der es um die Frage ging, welches Kleid diese bei der Euro-Fernsehdebatte tragen solle. Und dass Lindh sich danach offenbar spontan entschloss, im NK-Kaufhaus ein passendes zu suchen. Die Filmsequenzen des von der Polizei als mutmaßlicher Täter beschriebenen Mannes wurden einige Minuten vor der Tat aufgenommen – in einer Etage über dem Tatort. Der Mann hatte also Lindh nicht wie gemutmaßt verfolgt, sondern müsste ihr auf dem Weg nach unten an der Rolltreppe begegnet sein. Wäre er der Täter, müsste er sich blitzschnell zur Tat entschlossen haben. Diese müsste er dann bewusst auf größtmögliche Verletzungswirkung hin ausgeführt und bei seiner Flucht so kaltblütig gewesen sein, sich umgehend der Tatwaffe, der verräterischen Mütze und der blutbeschmierten Jacke zu entledigen, um spurlos zu verschwinden.

Eine nicht alltägliche Täterpersönlichkeit, von der zu vermuten wäre, dass sie schon früher der Polizei aufgefallen sein müsste, meinen Kriminologen. Und bei normaler Polizeiarbeit wäre dies aufgrund aller Anhaltspunkte ein Fall, bei dem der Gesuchte binnen einem Tag hätte gefunden werden müssen.

REINHARD WOLFF