Kein Sozi mehr für WG-Bewohner?

Die Auswirkungen der neuen Regelungen des Sozialgeldes und des Arbeitslosengeldes II auf Wohngemeinschaften sind so kompliziert, dass die Betroffenen auf beiden Seiten – Ämter wie WG-Bewohner – kaum durchblicken.

Bremen taz ■ „Wir sind verunsichert“, fasst Marion B. die Lage zusammen. Sie lebt in einer Wohngemeinschaft, die als solche sogar unter dem Buchstaben „W“ im Telefonbuch verzeichnet ist. Im Zusammenhang mit der Hartzreform werden die Regelungen für „Haushaltsgemeinschaften“, deren Einkommen bei Anträgen auf Sozialhilfe angerechnet werden, geändert. Bisher galt die „Annahme, dass sich Haushaltsgemeinschaften von Verwandten und Verschwägerten gegenseitig wirtschaftlich unterstützen“. Beim neuen „Sozialgeld“ wird diese Annahme ausgedehnt „auf alle Personen, die zusammen in einer Wohnung leben“, teilte das Sozialressort jüngst mit.

In Paragraf 36 des Sozialgesetzbuches 12 steht klipp und klar: „Lebt eine Person, die Sozialhilfe beansprucht, gemeinsam mit anderen Personen in einer Wohnung oder in einer entsprechenden anderen Unterkunft, so wird vermutet, dass sie gemeinsam wirtschaften (Haushaltsgemeinschaft) und dass sie von ihnen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach ihrem Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.“ Marion B. kennt das: „Bei uns war mal jemand vom Sozialamt und hat geprüft, ob wir einen gemeinsamen Haushalt führen.“ Getrennte Zimmer mussten nachgewiesen werden, und der Mann von Sozialamt hat in den Kühlschrank geguckt, um sich zu vergewissern, dass getrennt eingekauft wird. „Das ist damals gerade noch einmal gut gegangen“, sagt Marion B. Nach der neuen Rechtslage wird die Beweislast umgekehrt: Zunächst gilt die Vermutung einer Hausgemeinschaft, der Antragsteller muss gegenüber dem Sozialamt nachweisen, dass „nicht gemeinsam gewirtschaftet wird“. Diese Regelungen für das Sozialgeld gelten aber nur für solche Hilfebezieher, die aus Altersgründen oder wegen Krankheit beziehungsweise Behinderung auf absehbare Zeit nicht erwerbsfähig sind. Wer derzeit Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe bekommt, aber erwerbsfähig ist, fällt unter die Regelungen des Arbeitslosengeldes II und da gilt das Sozialgesetzbuch nicht mehr.

Zuständig ist dann die Agentur für Arbeit, die diese Lebenslage mit vollkommen anderen Begrifflichkeiten sortiert: Hier gibt es die „Bedarfsgemeinschaft“, zu der vor allem Familienangehörige und „eheähnliche“ Partner zählen. Einkommen von Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft wird angerechnet. Für Wohngemeinschaften gilt: Lebt ein ALG II-Antragsteller in ihren Reihen, müssen die Mitbewohner klarstellen, dass es sich nur um eine Zweckgemeinschaft handelt. Der Antragsteller läuft sonst Gefahr, dass ihm das Arbeitslosengeld II gekürzt oder gestrichen werde, bestätigte die Bundesagentur für Arbeit. Für Wohngemeinschaften ist es daher sinnvoll, kein gemeinsames Konto zu führen und Untermietverträge abzuschließen, um ihren Charakter als „Zweckgemeinschaft“ klarzustellen. Vom Blick in den Kühlschrank und Überprüfung der Haushaltsführung ist – derzeit jedenfalls – noch keine Rede. Aber noch gibt es keine Ausführungsbestimmungen, die MitarbeiterInnen von Arbeitsamt und Sozialämtern sind noch nicht auf die Zweifelsfälle der Anwendung hin geschult worden. kawe