Götter aus Schlamm

Filmschnipsel und Sandburgen: Beim Tanz im August jagte die Gruppe Superama den Wahn der Werbewelten in die Luft, und Sasha Waltz suchte und fand das Unmittelbare in der Improvisation

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Catwoman kommt. Noch bevor sie sich mit dem Wohnungsinhaber beschäftigt, der vor Aufregung nicht weiß, welches Möbel ihn am besten in der Pose der Coolness stützt, simuliert sie eine sexuelle Begegnung, allerdings nur mit der nackten Wand. Dann wendet sie sich dem Mann zu; doch statt seinem Schwanz widmet sie sich seinen Nackenwirbeln. Das ist eine der bemüht lustigen Szenen aus „Big, 2nd Episode“ von Superama, Gäste bei Tanz im August. Superama am Abend ließ sich bequem verbinden mit Sasha Waltz am Nachmittag, und das war ein Glück, denn so kam doch ein befriedigender Festivaltag heraus. Der Ärger über die großspurige Flachheit der einen schrumpft neben dem Erfindungsreichtum der anderen. Beide Projekte verbindet, das Feld erweitern zu wollen, das choreografisch zu bearbeiten ist. Sasha Waltz wählt das klassische Mittel der Improvisation, um Verflechtungen des Zufälligen und des Strukturierten entstehen zu lassen. Das Ergebnis ist nicht vorhersehbar.

Bei Superama, die sich der Beobachtung medialer Realitäten verschrieben haben, schon: Sie verfolgen die Strategie der Affirmation. Wenn sie die Formen der Werbung benutzen, weiß man jederzeit, dass sie diese glatte Oberfläche unterminieren wollen. Die Detonationen, mit denen dies schließlich geschieht, sind deshalb nicht überraschend – der Beauty-Shop und die Bar werden zerschossen als Orte der falschen Bilder. Langweilig ist dies trotzdem und hochstaplerisch dazu: Wie das Künstlerkollektiv, das in Wien und Paris beheimatet ist, Zitate von Godard einspielt und Theoriebröckchen wie Antifaltencreme verabreicht, strotzt nur so vor intellektueller Eitelkeit.

Eines aber ist auffällig: Die Filmschnipsel, in denen Godard die Schnittpunkte von Kunst und Leben erläutert, sind ungefähr so alt wie die Improvisations-Projekte in der legendären New Yorker Judson Church, die für die Dialoge von Sasha Waltz in der St.-Elisabeth-Kirche einen Referenzpunkt bilden. Ähnlich wie in der bildenden Kunst ist dieser Rückbezug auf die Aufbrüche in den Sechzigern für die Tanzszene zu einem Fixstern geworden.

Im Bewusstsein der eigenen Geschichte zu handeln, ohne sie zu wiederholen: Das ist für den Tanz, der keine manifesten Produkte hinterlässt, komplizierter als für andere Künste. Mit der Reihe Dialoge, die Sasha Waltz seit 1992 verfolgt, hat sie eine Antwort auf dieses Dilemma gefunden. Denn in den Improvisationen kommen Choreografen und Tänzer verschiedener Konzepte und Zeithorizonte zusammen. In der St.-Elisabeth-Kirche etwa nahmen Susanne Linke, die seit den Siebzigerjahren eine eigene Tanztheaterform entwickelt hat, Benoît Lachambre, berüchtigt für verschachtelte Konstruktionen in den Neunzigerjahren, und ein Tänzer der Forsythe-Company, Christopher Roman, teil, der von einer fein geschliffenen Analyse der Bewegung herkommt. Wie sie jetzt zu einer Kette werden, die verbindlich aufeinander reagiert, Spannungsbögen aufbaut, den anderen zuspielt oder eigene Schauplätze eröffnet, alles geboren vor allem aus der Beobachtung des anderen, ist einfach klasse. Und das fast ohne Leerlauf zwei Stunden lang. Ein Mittel, ihren eigenen Weg lebendig zu halten und nach neuen Verzweigungen zu suchen, sind die Dialoge für Sasha Waltz deshalb geworden, weil sie diese Recherche kontinuierlich gepflegt hat. Sie schafft damit Distanz zu ihren eigenen choreografischen Projekten.

Zur Vorstellung am Sonntagnachmittag waren in der St.-Elisabeth-Kirche Kinder willkommen, zunächst als Zuschauer; nach der Pause mischten sie sich, oft noch im Vorschulalter und manchmal gar in Windeln, unter die Tänzer. Untersuchten die Spuren, die deren Körper in den Sand gezogen hatten, ahmten das Umfallen und Totstellen nach und knabberten das Spielfeld von den Rändern her an, indem sie Sandburgen buken oder sich einbuddelten. Das Kinderspiel und die Improvisation der Tänzer verschränkten sich auf das Beste, weil diese geradezu scharf darauf waren, das unbewusst Entstandene zu transformieren. Mächtige Bilder kamen so zustande, nicht nur am Schluss, als fast alle Akteure Schlamm auf ihre Köpfe häuften und aussahen wie die Götter einer versunkenen Kultur.

28. August: 17 und 21 Uhr, 29. August: 15 Uhr, in der St.-Elisabeth-Kirche, Invalidenstr. 3, Mitte