unser wöchentlicher volkspalast
: Esther Slevogt über das Auferstehen aus Ruinen

Die Wirklichkeit ist so ziemlich das Letzte, was ein Mythos vertragen kann. Insofern tut man sich als Freundin des Morbiden fast etwas schwer, die Wiedereröffnung des Palast der Republik ganz rückhaltlos zu begrüßen.

14 Jahre hat er unsere Fantasie beschäftigt, dieser aus der Zeit gefallene Klotz, hinter dessen ruinierter Fassade man sich so schön die letzten Geister der Utopie (oder die letzten Gespenster aus dem Zentralkomitee) beim Tanz der Vampire denken konnte. Der Palast hatte sehr schnell nach seiner Schließung wegen Asbest- und DDR-Verseuchung die Rolle des 1950 gesprengten Stadtschlosses als Projektionsfläche diffuser historischer Sehnsüchte übernommen, weshalb der Versuch, ihn durch „Nutzungsentzug“ (O-Ton Thomas Flierl) als städtischen Ort aus dem Bewusstsein der Stadt zu entfernen, als ziemlich nach hinten losgegangen gelten kann.

Als im letzten September Christian von Borries im skelettierten Innern des Baus seinen „Wagnerkomplex“ aufführte, spielte er sehr gekonnt mit den Assoziationen, die sich in diesem historisch kontaminierten Ort fast als Pawlow’scher Reflex abrufen ließen. Sein Soundtrack aus Wagner und Techno verwandelte die gigantische Ruine in ein 3-D-Gemälde von Anselm Kiefer, und als sich in den rostroten Scheiben das Licht der untergehenden Sonne brach, war es für durch die Palastruine wandelnde Zuschauer fast, als tauchte man durch das Wrack der „Titanic“: Gefühlte Geschichte, besser hätte Richard Wagner das auch nicht gekonnt.

Am Wochenende nun ist wohl auch das allerletzte Palastgespenst wie Dracula zu Staub zerfallen: Der Palast der Republik ist als Volkspalast in die Zeit zurückgekehrt. Der Andrang war groß, die Begeisterung noch größer. Zumindest eines ist nach diesem Wochende sicher: Eine neue Kultstätte ist geboren. Schlossbefürworter werden sich jetzt trotz Bundestagsbeschluss wärmer anziehen müssen. Denn jetzt geht die Party erst richtig los. Am Donnerstag bieten Angela Guerreiro, Jochen Troller und Trava dem interessierten Publikum mit „Le Bal Moderne“ noch einmal ihre ganz besondere Form des Tanztees an.

Zuschauen genügt hier keinesfalls: Mittanzen ist gefragt, und zwar unter professioneller choreografischer Anleitung. Am Wochenende dann öffnet sich der Palast bis zwei Uhr morgens den Besuchern der „Langen Nacht der Museen“, obwohl er überhaupt gar kein Museum ist. Aber spätestens seit das leere Jüdische Museum zum Publikumsrenner wurde, weiß man: Ein Museum ist auf Exponate nicht zwingend angewiesen, wenn die Atmosphäre stimmt. Zwischen 22.00 und 23.00 Uhr sorgen Bläser der New Yorker Philharmoniker zusammen mit der German Brass Band und Werken von Schostakowitsch, Mendelssohn und Enrique Crespo für entsprechende Stimmung.

Zum Chillen empfehlen wir Fred Rubins Palast-Bar, die der Recyclingkünstler aus Originalteilen am Orginalstandort im Erdgeschoss des Palasts wieder aufgebaut hat. Wer sich anstrengt, wird das rotierende Rondell als allegorisches Gebilde namens Wendemaschine identifizieren. Wer einfach nur abhängen will, ignoriert einfach das Rad der Geschichte, das hier mit Originalpalastteilen nachgebaut wurde, und bestellt sich einen Cocktail.